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Geheimformeln im Alltagstest ■ Von Holm Friebe
Wenn man sagt, dass der amerikanische Autor Joseph Heller vor kurzem 76-jährig an einem Herzinfarkt gestorben ist, wissen die wenigsten etwas mit dieser Information anzufangen. Wenn man aber sagt, dass der Erfinder von „Catch 22“ gestorben ist, ist die verständige Zielgruppe gleich eine ganz andere. Neben „Murphy’s law“ und Douglas Adams Antwort auf alle Fragen („42“) ist „Catch 22“ eine der beliebtesten Geheimvokabeln, die unter Nerds ein tieferes Verständniss in die Weltenläufte signalisieren – so catchy, dass sie als omnifungible Phrase ihren Autor oder das gleichnamige Buch bei weitem an Bekanntheit übertrifft.
Aber was genau ist noch mal ein „Catch 22“? Ich selbst hab das Buch nie ganz gelesen – Kriegsbücher liegen mir nicht so – und konnte mir das deshalb auch lange Zeit nur schwer merken. Im Buch geht es, soweit ich das memoriert habe, darum, dass der Bomberpilot Yossarian wegen Verrücktheit dienstuntauglich geschrieben werden will, dabei aber an der Klausel „Catch 22“ scheitert, die besagt, dass jeder, der aus diesem Grund aus dem Militärdienst ausscheiden will, nicht verrückt sein kann. Auf den ersten Blick ein klassisches Paradox also, vom Zuschnitt: Der Kreter sagt, alle Kreter lügen.
Das wäre dann allerdings ziemlich langweilig und würde nicht erklären, warum sich der Begriff so verselbstständigt hat. Hinzukommen muss deshalb die persönliche Komponente: Das Ganze ist zugeschnitten auf ein Identifikationsangebot, ein unschuldiges Opfer, das sich dieser paradoxalen Aporie gegenübersieht. Spieltheoretisch bedeutet das: eine No-win-Situation, in der jede Entscheidung den gleichen negativen Outcome hat, weshalb eine echte Entscheidungssituation überhaupt nicht vorliegt. Das Oxford Dictionary, in das der Begriff Eingang gefunden hat, definiert „Catch 22“ dementsprechend als: „Dilemma, in dem das Opfer nicht gewinnen kann.“ Das leuchtet ein, ist aber sperrig und unbefriedigend. Situationen, in denen man nicht gewinnen kann, gibt es meines Erachtens viele, ohne dass notwendigerweise ein „Catch 22“ vorliegt. Man denke nur an die Hütchenspieler am Kurfürstendamm.
Deshalb habe ich mir irgendwann eine Definition zurechtgelegt, die mir weitaus einleuchtender erscheint, und zwar „Catch 22“ als „Problem, das seine eigene Lösung verunmöglicht.“ Das ist zwar immer noch sperrig, aber damit lassen sich kurzweilige und unterhaltsame Entsprechungen im Alltag finden. Eine Freundin erzählte beispielsweise, wie sie als Austauschstudentin in England nur ein Stipendium für ihren gesamten Aufenthalt bewilligt bekommen hätte, wenn sie hätte nachweisen können, dass sie über ein gesichertes Einkommen für den gesamten Zeitraum verfügt. Ein anderer (unechter) „Catch 22“ besagt, dass, wenn man das verstopfte U-Rohr des Waschbeckens abschraubt, um es zu reinigen, und deshalb schmutzige Hände bekommt, man sie sich nicht waschen kann. Mein Lieblings-„Catch 22“ ist so ähnlich: Wenn die Kette vom Badewannenstöpsel abgerissen ist, kann man den Stöpsel nicht herausziehen, weil der Wasserdruck zu groß ist. Um aber den Wasserdruck zu vermindern, müsste man den Stöpsel herausziehen.
Gibt es in dieser Richtung noch weitere Vorschläge?
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