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Jan, du bis ein Ar...“

Berlin Scanner: Marie-Luise geht jetzt mit Heiko, und der BFC wird doch noch Meister. Die Schrift an der Wand liest ■ Jochen Schmidt

Mein Haus ist modernisiert worden, ich wohne jetzt in einer Westwohnung, warm, sauber und wie von einem anderen Stern. Unsere Fassaden wurden ja von Besuchern von jenseits des großen Flusses gewöhnlich als grau bezeichnet, dabei waren sie nicht grau, sondern bräunlich oder sonstwie verblichen, in jedem Fall aber voller Hinweise auf ihre Geschichte.

Der Ärger über diese oberflächliche Wahrnehmung verliert seinen Gegenstand, auch mein eigener Hof strahlt nämlich neuerdings pastellgelb. Vorher waren die Wände in Kinderhöhe mit bunter Kreide bemalt, kleine Männchen und Fantasietiere, es gab auch eine rätselhafte Botschaft an einen Bewohner des Hauses, in riesiger schwarzer Schrift stand da: „Jan, du bis ein Ar. . .“, weiter war die Autorin nicht gekommen.

Als ich den Bauleiter aus München, der mir immer noch meine Umzugsaufwandsentschädigung und eine Klotür schuldet, nach der Fassade befragte, entschuldigte er sich, dass er die vierte Hofwand nicht verputzen lassen könne: „Die gehört zum Nachbarhaus, da dürfen wir nicht ran, obwohl es natürlich idiotisch ist.“ So sind nur drei Wände pastellgelb gestrichen worden, die vierte bleibt „grau“. An der unverputzten Wand erkennt man, dass hier mal ein Schuppen gestanden hat, der abgerissen worden sein muss.

Als es den Schuppen noch gegeben hat, muss es Kindern möglich gewesen sein, auf sein Dach zu klettern. In drei Meter Höhe steht immer noch mit Kreideschrift: „BFC D wird Meister. Union ver. . .“ Auch diese Autoren sind damals von einem Verächter anonymer Schriftkultur verjagt worden. Ihre Botschaft wird aber zu meiner Freude nun auch die lang befürchtete Hausmodernisierung überleben. Für mich ist sie nämlich immer wieder ein Trost. Zu der Zeit, als ich selbst glühender BFC-Fan war, wurde mein Klub tatsächlich immer Meister.

Ich weiß, fremde Begeisterung zu verstehen ist unmöglich, und sie zu ertragen schwer genug. Wenn mir jemand davon berichtet, wie überwältigend es war, als 1860 München ausgerechnet im Meppener Hindenburgstadion aufgestiegen ist, langweilt mich das grenzenlos.

Genauso langweilt jeden meine persönliche BFC-Geschichte. Fußball ist überhaupt ziemlich langweilig geworden; wer kann sich dafür schon noch von Herzen begeistern? Und wenn ich im Ausland nach meinem Klub gefragt werde, fällt mir keiner ein. Ach ja, BFC, aber den gibt’s nicht mehr, sage ich dann meist. Aber als Kind, als das Leben insgesamt schrecklich langweilig war, hat es einem oft helfen können, wenn man gerade sitzen oder stehen musste und meist auf Unangenehmes wartete, selbstvergessen das BFC-Emblem hinzukritzeln.

Vielleicht hatten die kleinen Schuppenkletterer von meinem Hof ja gerade die Schule geschwänzt, oder ihre Eltern beschmissen sich mit Bratpfannen, oder Marie-Luise ging jetzt doch mit Heiko, aber BFC Dynamo würde Meister werden. Wenn irgendwann auch unser Nachbarhaus renoviert wird und damit auch unsere vierte Hofwand ein neues, vielleicht himmelhellblaues Kleid bekommt, wird meine Sentimentalität keine Heimat mehr haben. Ich kann mich dann entscheiden, ob ich gezwungenermaßen ein neues buntes Leben beginne oder ob ich irgendwohin ziehe, wo die Zeit mich nicht einholen wird. Wenn es mir schlecht geht oder der Zahnarzt mich in der Mangel hat, werde ich in jedem Fall weiter ihre Namen beten: „Frank Terletzki, Wolf-Rüdiger Netz, Norbert Trieloff . . .“ Aber es sind unwichtige Erinnerungen, und es ist vielleicht gut, von Modernisierern aus ihnen vertrieben zu werden. Nur sollten die nicht auch noch stolz darauf sein dürfen.

In der „Sesamstraße“, die für mich nie bunt war, sondern immer grau – wir hatten keinen Farbfernseher, und ich habe mich über das blaue Krümelmonster später sehr erschreckt –, gab es einmal eine Geschichte, in der ein kleiner Junge seine Mutter suchte. Er konnte sie aber nicht genauer beschreiben, als dass sie eben die schönste Frau der Welt sei. Alle schönen Frauen der Gegend wurden ihm vorgeführt, und am Ende war ein verweintes älteres Muttchen die Richtige. Niemand wäre darauf gekommen. Genauso ist es mit unseren grauen Wänden.

Übrigens berichteten die Westmedien über den BFC früher genau einmal im Jahr, am letzten Spieltag, wenn er wieder Meister geworden war, dann kam darüber im Sportstudio eine kurze trockene Meldung. Allerdings wurde der Klub dort immer als „Dynamo Berlin“ bezeichnet, wobei Dynamo auch noch auf der ersten Silbe betont wurde. Nach der Wende hat sich mein Stasi-Klub in FC Berlin umbenannt und abgestritten, jemals ein Stasi-Klub gewesen zu sein, geschweige denn überhaupt Fußball gespielt zu haben. Seit dieser Saison heißt er wieder BFC Dynamo. Die Meldung dazu aus dem Branchenfachblatt Kicker lautete: „BFC Dynamo heißt wieder Dynamo Berlin“.

Jochen Schmidt

Schönhauser Allee 65, Hinterhof

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