: Als Exportartikel ein totaler Flop
US-Hysterie um den „Millennium Bug“ lässt die Alte Welt kalt: Europa schreibt die Chronik einer angekündigten Katastrophe einfach nicht mit
Zehn Tage bevor die große Katastrophe mit dem Algorithmus 2000 losgehen soll, war USA Today vom 21. Dezember fast auf jeder Seite mit dem „Millennium Bug“ befasst. Da Computersysteme inzwischen alle denkbaren Vorgänge des Alltags steuern, fürchten die USA zu Silvester die Verdunklung der Welt und den Sturz der Zivilisation ins Chaos.
Das Benzin wird jedenfalls ausgehen – weil vorher alle voll tanken. Das ist ja schon mal was! Auch die National Football League, die sich schon seit zwei Jahren auf das „Year 2000“ (Y2K)-Problem vorbereitet, hat alle Spiele für den 2. Januar gestrichen. Die Washingtoner Politiker und Juristen freilich, so heißt es auf einer der vorderen Seiten, seien gelassen. Sie hätten alle nötigen Vorbereitungen getroffen und damit sei für sie die Sache erledigt. Sie würden auch keine Lebensmittel bunkern. Das würden – gegen ihren Rat – die Ehefrauen tun. Okay, wir haben verstanden.
Auch wenn das wieder einmal nur der alte Sexismus ist, das Y2K-Problem scheint tatsächlich ein Hausfrauenproblem zu sein. Die Sache ist zu hysterisch. Vielleicht ist sie auch einfach zu amerikanisch. Schaut man die letzten Ausgaben der französischen Zeitung Libération durch, findet sich nichts, aber auch gar nichts zum Millennium Bug. Um Jacques Lacan und seine berühmte Formulierung von der Frau, die es nicht gibt, zu variieren: Le Bug n’existe pas.
Und weil wir uns mit diesem Zitat in den Bereich des Symbolischen begeben haben: Ist dies ein Zeichen? Wird das 21. Jahrhundert womöglich nicht mehr das amerikanische Jahrhundert sein? Ist es womöglich nicht schön und von ganz eigener Ironie, dass sich jetzt, zum Stichtag 2000, der letzte große US-Exportartikel technisch-kultureller Art als kompletter Flop herausstellt? Wo Europa doch, was den Computer anbelangt, den USA glauben sollte?
Die Chronik einer angekündigten Katastrophe schreibt Europa nicht mit. Für Europa reichen ein paar Vorsichtsmaßnahmen. Für die USA muss es der GAU sein. Es ist ein Zeichen. Dass die USA und die alte Welt kulturell doch nicht völlig kompatibel sind. Unsere Faszination hat stark gelitten. Dank Starr-Report über Bill Clintons Praktikantinnen-Affäre oder bürgermeisterlichem Kunstverbot in der ehemals weltoffenen Stadt New York. Wir sind, am Vorabend des dritten Jahrtausends, der amerikanischen Ängste müde.
Brigitte Werneburg
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