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Iranische Frauen müssen Schleier tragen

Das Ausländeramt in Nürnberg will eine politisch verfolgte Iranerin zurück in ihre Heimat abschieben. Für das dazu notwendige Passfoto soll die Frau einen Schleier tragen. Sie weigert sich. Eine Freundin von ihr wurde zum Tragen des Schleiers gezwungen ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Dass die deutschen Behörden so etwas tun, das verstehe ich einfach nicht.“ Die 39-jährige Laleh Saadat hat eine Illusion verloren. Als sie vor drei Jahren aus dem Iran nach Deutschland flüchtete, hatte ihr die Hoffnung auf ein „selbstbestimmtes, menschenwürdiges Leben als Frau“ über das kleine Zimmerchen, das sie mit ihrem fünfjährigen Sohn Alboaz im vierten Stock eines Nürnberger Flüchtlingswohnheim teilt, über die kargen 80 Mark monatliches Taschengeld und die Essenspakete, die ihr nicht einmal bei der Wahl der Lebensmittel die Freiheit lassen, lange hinweggeholfen. Nun hat sie auch diese Hoffnung verloren.

Verantwortlich dafür macht sie die Nürnberger Ausländerbehörde, die von ihr und vier anderen iranischen Frauen ein Passfoto mit Schleier verlangt. Dabei hatte Laleh Saadat, die im Iran drei Jahre wegen politischer Betätigung im Gefängnis saß und trotzdem keine Anerkennung als politischer Flüchtling in Deutschland fand, noch Glück. Sie wurde nicht, wie Anfang November ihre 28-jährige Freundin Roya Mosayebi, mit Polizeigewalt zu diesem Foto gezwungen.

Nachdem dieser Fall publik geworden war, hatte das Ausländeramt Nürnberg erst einmal davon Abstand genommen, den anderen Frauen die gleiche Prozedur zuzumuten. Laleh Saadat wäre die Nächste gewesen. Sie hatte bereits das entsprechende Schreiben der Behörde in Händen.

Für die Abschiebung in den Iran ist ein Heimreiseschein erforderlich, ausgestellt von der iranischen Auslandsvertretung. Dort werden jedoch Lichtbilder von Frauen zurückgewiesen, wenn die Betreffende kein Kopftuch trägt. Da im deutschen Asylverfahrensgesetz die Flüchtlinge nach Ablehnung ihres Asylantrags eine „Mitwirkungspflicht“ am Zustandekommen der notwendigen Ausreisepapiere haben, fordern die Behörden sie auf, ein Bild mit Schleier vorzulegen – andernfalls droht die „zwangsweise Vorführung bei einem Fotografen“. In Bremen ist sogar ein Fall bekannt geworden, wo Passfotos unverschleierter Frauen am Computer so manipuliert wurden, dass sie anschließend ein Kopftuch aufhatten.

„Ich hätte mich genauso wie Roya massiv dagegen gewehrt“, ist sich Laleh Saadat sicher. Der verhasste Schleier ist für sie das Symbol für die Unterdrückung der Frauen im Iran. „Wir haben dort nicht einmal die primitivsten Rechte für ein Leben in Menschenwürde“, klagt sie.

Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich der 39-Jährigen das Bild von Roya Mosayebi, nachdem sie von der Polizei zurückgekehrt war. Am ganzen Körper zitternd, ein Arm blau unterlaufen, der andere nahezu bewegungsunfähig. Zwei Polizisten hätten ihre Freundin an den Füßen festgehalten, zwei hätten ihr die Hände auf den Rücken gedreht und zwei weitere das Kopftuch gewaltsam über den Kopf gezogen. Dann sei im Polizeipräsidium das Foto gemacht worden, hatte ihr Roya erzählt. „Anwendung von unmittelbarem Zwang (festhalten)“ heißt das im Bürokratendeutsch.

Roya Mosayebi war am 6.August 1997 in die Bundesrepublik eingereist. Sie hatte ihre Eltern, drei Brüder und drei Schwestern im iranisch-irakischen Krieg verloren. Sechs Jahre lang hatte sie dann das Martyrium mit ihrem Ehemann ertragen, der sie schlug und ihr androhte, das Gesicht mit Säure zu verätzen. Sie wollte ihre beiden Söhne nicht verlieren. Im Iran gehen die Kinder bei einer Scheidung automatisch an den Mann.

Trotzdem lebte Roya Mosayebi ab 1993 getrennt von ihrem Mann. Sie eröffnete in Durud, südwestlich von Teheran, einen Friseursalon. Dort wollten sie die Behörden zwingen, die Frisurenfotos im Schaufenster durch Fotos verschleierter Frauen zu ersetzen. Wegen „unmoralischen Verhaltens“ wurde Mosayebi am 26. November 1996 verhaftet und zu 75 Peitschenhieben, einer Geldstrafe sowie sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

Als sie wieder freigelassen wurde, flüchtete sie nach Deutschland. Sie beantragte Asyl, weil, wie sie sagt, der iranische Staat sie als Gegnerin der islamischen Rolle der Frau verfolge. Doch frauenspezifische Gründe werden von deutschen Behörden nicht als Fluchtgrund anerkannt.

So wurden ihr Asylantrag und auch der Folgeantrag abgelehnt und die Abschiebung samt notwendigen Formalien vorbereitet. Abschiebung sei eben nun einmal „die hässlichste und scheußlichste Aufgabe der Stadt“, kommentierte Nürnbergs Rechtsreferent und Dienstherr der Ausländerbehörde, Hartmut Frommer, die erzwungenen Schleierfotos.

Doch der Nürnberger Stadtrat nahm diesen Fall nicht einfach so hin. Er nannte das Verhalten der Ausländerbehörde „Kumpanei mit einem undemokratischen Regime“, und selbst Polizeifunktionäre wie der stellvertretende Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Hermann Benker, mahnten an, dass sich Polizisten „nicht zum Handlanger des Irans“ machen dürften.

Laleh Saadat und Roya Mosayebi setzten daraufhin auf das Verwaltungsgericht Ansbach. Das sollte die Fotoaktion für unrechtmäßig erklären, weil das Tragen eines Kopftuches im Iran ein religiöses Gebot sei und die Stadt Nürnberg mit ihrer Anordnung gegen die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit verstoßen habe.

Doch die Richter wiesen ihre Klage zurück. Spitzfindig urteilten sie, dass in islamischen Ländern der Kopftuchzwang keine religiöse Regelung sei, sondern ein „ordnungsrechtliches Regelwerk“, das jede iranische Staatsangehörige unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit verpflichte. Zudem stelle „nicht jede Beeinträchtigung von im Grundgesetz gewährleisteten Grundrechten in anderen Staaten eine im Rahmen des Asylrechts zu berücksichtigende politische Verfolgung“ dar, heißt es nüchtern in der Urteilsbegründung. Erforderlich sei vielmehr, dass die Maßnahme „nach Intensität und Schwere über das hinausgehe, was die Bewohner jenes Staates aufgrund des dortigen Systems allgemein hinzunehmen haben“.

Im Rahmen der Klage gegen die Ablehnung des Asylfolgeantrags hat Mosayebis Anwalt Manfred Hörner nun einen Eilantrag gestellt. Demnach soll das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet werden, die Ausländerbehörde Nürnberg anzuweisen, die Abschiebung der Iranerin zu unterlassen. Hörner begründete den Schritt mit der großen Publizität, den die Kopftuchaffäre ausgelöst hatte.

Selbst oppositionelle iranische Zeitungen hätten ausführlich darüber berichtet. „Spätestens jetzt wissen die iranischen Behörden, dass Frau Mosayebi die islamische Rolle der Frau bekämpft und in Opposition zur islamischen Republik steht“, argumentiert der Rechtsanwalt.

Der Anwalt drängt zur Eile, denn das Bundesamt sieht für die Iranerin „weder gegenwärtig noch in absehbarer Zukunft für den Fall ihrer Rückkehr asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr“, und das erzwungene Passfoto liegt dem Ausländeramt ja bereits vor. Es könnte also jederzeit an die iranischen Behörden weitergegeben werden und dann könnte die Abschiebung erfolgen.

„Unsere Angst vor Abschiebung ist schon jetzt so groß wie die Angst vor der Polizei im Iran“, betont Laleh Saadat. Sie hofft jedoch, dass es in Deutschland genügend Menschen gibt, die es nicht zulassen, dass eine Frau zum Tragen eines Schleiers und zur Rückkehr in den Iran gezwungen wird.

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