: Rocker und Exis
Der Hamburger Fotograf Jürgen Vollmer dokumentiert die Subkultur der frühen 60er Jahre ■ Von Tobias Nagl
Jürgen Vollmer hat viel zu erzählen. Eigentlich könnte der Mann inzwischen seine Biografie statt Fotobücher veröffentlichen. Vollmer war einer der ersten Nachkriegsbohémiens, lebte als Fotograf in den frühen 60er Jahren in den Künstler-Quartiers von Paris, später dann in New York, und veröffentlichte in den 70er und 80er Jahren eine Reihe von Bänden, deren Vorwort-Autoren allesamt Vollmers Lebensweg irgendwann gekreuzt hatten: Für Nureyew in Paris, Rock 'n' Roll Times griff John Lennon zur Schreibmaschine, bei Sex Appeal war es der Beat-Literat William Burroughs, bei From Hamburg to Hollywood Paul McCartney. Und im letzten Jahr sind in Frankreich seine Fotos zu Taverniers Film Ca commence aujourd'hui als Buch publiziert worden.
Und doch ist seine Karriere bis heute vor allem mit den Beatles verbunden – jenen Beatles allerdings, die man gemeinhin weniger mit Liverpool als mit der Hamburger Reeperbahn assoziiert. Bis zur Invasion britischer Rock-Bands in der Hansestadt 1960 war Vollmer „ein Jazzfan gewesen und trug Künstlerklamotten wie Kordja-cketts und schwarze Rollkragenpullover“, erinnert er sich. „Meine Haare hatte ich über die Stirn gekämmt.“ Leute wie Vollmer nannte man damals „Exis“. Er hatte gerade die Kunstschule verlassen und arbeitete als Assistent des Fotografen Reinhart Wolf. Wenn er eins mied wie der Teufel das Weihwasser, dann waren das Typen, die im Jargon des Wirtschaftswunders „Halbstarke“ genannt wurden. Rocker. Jungs, die in ihren schwarzen Lederjacken mit ihren Elvistollen wie Marlon Brando in Der Wilde aussehen wollten. Kurz: Typen wie die Beatles. Zumindest damals.
Und doch geriet er durch ein zufälliges Ereignis in den Bann der Liverpooler, die sich, zumindest äußerlich, genauso durch die Begegnung mit Vollmer verändern sollten wie er selbst. Animiert von seinen Freunden Klaus Voormann und Astrid Kirchherr, wagte er sich in den „Kaiserkeller“, in dem die Beatles, damals noch zu fünft und ohne Ringo Starr, ein weitgehend desinteressiertes „Halbstarken“-Publikum bei ihren rüden Trinkspielen beschallten. „Wir drei Exis waren total deplaciert“, erinnert sich Vollmer, „und total begeistert. Jeder wirkte brutal. Betrunkenes Gegröhle. Bedrohliche Blicke. Schwarze Lederjacke, Pompadours und Entenschwänze, wohin man sah.“
Vollmer freundete sich mit den Beatles an, nicht nur, weil die Musik von seinen eigenen Sehnsüchten sprach, sondern auch, weil er in den genauso martialisch wie ihr Publikum auftretenden Musikern eine feinsinnige Exi-Seele schlummern sah. Ein Jahr später, 1961, als John Lennon und Paul McCartney ihn im Quartier Latin besuchten, kam die dann auch zum Vorschein – dank Vollmer. Mit den Rockertollen, die die beiden damals trugen, war in den Künstlercafés von Paris natürlich kein Stich zu machen. Auch die neuen Flohmarktklamotten halfen wenig beim Versuch, Mädchen kennen zu lernen. Bis die Musiker sich dann entschlossen, auch noch die letzten Reste der Rockervergangenheit abzulegen, und sich von Vollmer so eine „komische Frisur“ mit nach vorne gekämmten Haaren schneiden zu lassen: eine Beatles-Frisur eben.
Der Exi Vollmer hingegen ging den umgekehrten Weg und begann, die entstehende bundesrepublikanische Rock-'n'-Roll-Jugend zu fotografieren. Unter dem Titel Rockers liegen nun seine Bilder aus den frühen 60er Jahren in einem hübschen Din-A4-Band vor, der sich fast wie ein visuelles Kompendium zur „ethnografischen“ Alltagskulturforschung der Birmingham School liest. Haare und Kleidung spielen darin tatsächlich eine große Rolle, wenn es um das geht, was Dick Hebdige The Meaning of Style nannte. Fotografisch an der zeitgenössischen amerikanischen Straßen- und Reportagefotografie und ihrem Bewegungsduktus orientiert, entwi-ckelt sich in Rockers eine faszinierende Bilder-Geschichte des Körpers, seiner panzerhaften Normierung wie dissidenten Zeichenwerdung zu Beginn des generation gap, an der Theweleit wie Poptheoretiker ihre Freude haben dürften.
Vollmer fotografierte die Beatles, noch mit Entenschwanz, und seine Bilder gehören zu den schönsten der Band, ganz sicher zu den berühmtesten. Eines fand gar seinen Weg auf das Cover von John Lennons Solo-Album Rock'n'Roll.
Vor allem aber lichtete Vollmer männliche, proletarische Jugendliche ab, meist an öffentlichen Plätzen, denn andere gab es für sie nicht. Manche von ihnen wirken frustriert; auch das, vielleicht, nur eine James-Dean-Pose von vielen, neben den Motorrädern, und, häufiger, Mopeds. Trotz ihres Machismo strahlen viele eine gewisse Androgynität aus, wie man sie auch in den rund zehn Jahre später entstandenen Bildern Larry Clarks sehen kann. Am Ende dann finden sich die ungewöhnlichsten Bilder: intimere Momente, Pärchen, nackt, im Bett, die Frisuren zerstört, bisweilen Tätowierungen. Allesamt entstanden sie in Paris. Auch das, vielleicht, eine sehr deutsche Geschichte.
Jürgen Vollmer, Edition Oehrli, Zürich 1999, 102 Seiten, 58 Mark
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