piwik no script img

Protest gegen Protest ■ Abgeordnete wollen nicht behindert werden

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Zeitlmann ist ein Bayer und ein Liberaler dazu. Jeder könne demonstrieren, wo er wolle, meint Zeitlmann, um schon im nächsten Halbsatz jede Demonstration, die ausgerechnet ihm über den Weg läuft, als „unerträglich“ zu bezeichnen. Und wenn die Berliner ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung auch noch vor dem Brandenburger Tor wahrnehmen, empfindet Zeitlmann dies seinerseits als „Kotau vor den Demonstranten“, weil er in einem solchen Fall einen Umweg machen muss, um ins Parlament zu gelangen.

Wie Eckart Werthebach und sein Polizeipräsident Hagen Saberschinsky verlangt deshalb auch Zeitlmann jetzt die Zahl der Protestmärsche in der Innenstadt zu verringern, damit er als Abgeordneter nicht länger mit den Anliegen der Wähler konfrontiert wird. Die gleichen Politiker, die noch im letzten Jahr mit großem Hallo den Umzug von Regierung und Parlament abgefeiert haben, legen nun bei den geringsten Problemen ein kleinstädtisches Verlangen nach Friedhofsruhe an den Tag, nach dem man im mehr als zehnmal kleineren Bonn vergeblich gesucht hat. Polizeipräsident Saberschinsky verstieg sich gar zu der Klage, die Bundeshauptstadt stelle „ein interessantes Forum für Veranstalter“ dar.

Die Tatsache, dass gerade das Zentrum der bundesdeutschen Politik als politikfreie Zone installiert werden soll, mutet bedenklich an. Noch gefährlicher ist die Argumentation des Innensenators, der bereits stockenden Verkehr oder eine Einschränkung des kommerziellen Absatzes als hinreichenden Grund ansieht, Kundgebungen aus der Innenstadt zu verbannen. Demokratie lebt nicht vom Geschäft, sondern vom Wettstreit unterschiedlicher Meinungen inner- und außerhalb der Parlamente.

Der Gesetzgeber hat, was die viel beschworene Einschränkung von Verkehr und Gewerbe angeht, klare Aussagen getroffen, nachzulesen im Versammlungsgesetz. Die regelmäßig wiederkehrenden Vorstöße aber lassen befürchten, worin sich der Charakter der viel beschworenen Berliner Republik zuallererst darstellen könnte: im Sieg der Busspur für Politiker, die die Politik von der Straße drängen.

Andreas Spannbauer

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen