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Im Osten nix Neues

Eine Filmreihe untersucht Geschichte und Auswirkungen des Kosovo-Kriegs  ■ Von Alexandra Obradovic

Der Krieg im Kosovo ist vorbei, und kaum jemand scheint sich noch an das zu erinnern, was sich letztes Jahr von März bis Mai zugetragen hat. Sporadische Meldungen von an Serbiens Grenzen abgewiesenen Tanklastzüge mit Heizöl aus dem Westen, bestimmt für die frierende Bevölkerung in oppositionellen Städten in Serbien, bewegen die Öffentlichkeit so wenig wie die Bilder von Flüchtlingen oder zerstörten Gebäuden und Städten. In ihrem ästhetisierten Elend sind sie längst zum standardisierten Material zur Bebilderung von Jahresrückblicken geraten.

Das B-Movie veranstaltet diesen Monat eine kleine Jugoslawien-Reihe, die sich in ihrer Auswahl nicht nur mit dem Krieg im Kosovo auseinandersetzt, sondern, angefangen mit der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Wolfgang Staudtes Herrenpartie/Muski Izlet, mehrere Jahrzehnte umspannt und als inhaltliche Klammer den Zerfall Jugoslawiens trägt.

Die deutsch-jugoslawische Koproduktion Herrenpartie/Muski izlet von 1964 mit Götz George zeigt ein Dorf in Montenegro, im 2. Weltkrieg Schauplatz einer Vergeltungsaktion von deutschen Soldaten, bei der alle männlichen Einwohner erschossen wurden, das durch das Eindringen einer Reisegruppe von deutschen Touristen wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Der Erstlingsfilm des serbischen Regisseurs Zelimir Zilnik, Rani Radovi (Frühe Werke, 1969), ausgezeichnet u.a. mit dem Goldenen Bären 1969 in Berlin, eine Reaktion auf die Ereignisse von 1968, brachte dem Regisseur ein Berufsverbot ein und war in Jugoslawien zeitweilig verboten. Eine junge Frau mit dem symbolischen Namen Jugoslava will ihrem tristen bäuerlichen Dasein entkommen und zieht mit drei jungen Männern über die Dörfer, um die „Welt zu verändern“ und die Menschen glücklich zu machen. Doch wohin sie auch gelangen, überall stoßen sie nur auf Ablehnung. Schließlich wird Jugoslava von ihren Freunden erschossen – ein Film über die Unmöglichkeit, die Welt durch schwärmerischen Romantizismus zu verändern.

Zilniks Marble Ass (1994), produziert von dem unabhängigen Belgrader Sender B 92, präsentiert sich gleichzeitig als Tunten-Drama und Auseinandersetzung mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg. Die Transvestiten Merlin und Sanela haben sich am Rande Belgrads eine häusliche Idylle geschaffen, die von dem Heimkehrer Johnny gestört wird. Während Merlin glaubt, ihren Beitrag zum Krieg zu leisten, indem sie sich heimkehrenden Soldaten anbietet, damit die ihre Aggressionen nicht an jungen Mädchen auslassen, scheitert Johnnys neues Leben an den Nachwirkungen des Krieges. Einen Billiardtisch von der Front im Gepäck, unter dem er seinen besten Freund ermordet fand, funktioniert er den Keller von Merlins Haus zur Spielhölle um. Wenn Johnny Sanela an die Wand kettet und ihr sagt, sie werde sich an ihn durch Angst erinnern, nicht durch seinen Schwanz, ihr dabei mit einer Armbrust einen Apfel vom Kopf schießt, dann bedeutet Liebe in dieser hilflosen Kriegsgesellschaft nur noch Schmerz und Gewalt. Das, was man liebt und braucht, ist allein durch Tod und Verlust zu haben.

Pretty Village Pretty Flame/Lepa Sela Lepo Gore (1996) schließlich beschreibt in Zeitsprüngen die Freundschaft des Serben Milan und des Moslems Halil. Beide wachsen in Bosnien zusammen auf und betreiben eine Werkstatt, bis der Krieg ausbricht und sie sich als Soldaten einander bekämpfender Einheiten in einem Tunnel wiederfinden – der eine als Belagerer, der andere als Gefangener. Im Vorprogramm der Filme ist Adnan Softics äußerst sehenswerter Kurzfilm Festes Gewebe oder: Der Körper ist mein Tempel zu sehen, eine faszinierende Reflexion über die identitätsstiftende Funktion des eigenen Körpers, der seine besondere Bedeutung in Abgrenzung zur durch den Krieg zerstörten äußeren Umgebung erhält, den Ruinen Sarajevos.

In der „Dienstags-Dokumentation“ versuchen zudem drei Dokumentarfilme, Hintergründe der Kriege gegen Jugoslawien zu liefern. Unternehmen Strafgericht beschreibt den Besuch ehemaliger Soldaten in der Wehrmachtsausstellung parallel zur Reise eines Kamerateams an die Orte der Massaker in Serbien, um dort Interviews mit den Angehörigen zu führen. In Pink kommen Betroffene in Berlin und Serbien während der Nato-Angriffe zu Wort; in einem zehnminütigen Interview Klaus Kinkels Positionen aus dem Jahr 1993.

Herrenpartie/Muski Izlet: Do, 6.1. + Sa, 8.1 + So, 9.1; Frühe Arbeiten/Rani Radovic: Do, 13.1. + Sa, 15.1. + So, 16.1.; Marble Ass: Do, 22.1. + Sa, 24.1. + So, 25.1.; Pretty Village Pretty Flame/Lepa Sela Lepo Gore: Do, 27.1. + Sa, 29.1. + So, 30.1.; Dienstags-Dokumentation: Di, 11.1. + Di, 25.1.; B-Movie, jeweils 20.30 Uhr

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