: Preise, Preise, noch mehr Preise!
Wenn Journalisten auszeichnen, dann richtig: leistungsgerecht
Ein Jahr vor Ablauf des waltenden Säkulums liegen die Nerven blank. Allenthalben wurde in Redaktionsräumen und Skribentenstuben gewertet, tariert und positioniert, rechtzeitig zum vermeintlichen Ausgang des Millenniums, wo nicht des Milliardiums, wurde noch eben auf die Schnelle Bilanz gezogen – die Rekordjournalisten des Jahrhunderts waren zu krönen. Sie nämlich sind die eigentlichen Gewinner dieses Säkulums.
Galt vor gut hundert Jahren, zu frühkrausschen Zeiten, die Bezeichnung „Journalist“ noch durchaus als schwere Verbalinjurie, so stellt sie heute für ein Heer von Zivildienstneulingen und Führerscheinleistenden das vollkrass Geilste vor, was in der Berufswelt überhaupt erreicht werden kann.
Kein Wunder also, dass auch das durchaus mediokre Frankfurter Fachblatt MediumMagazin unter „100 leitenden Kollegen deutscher Tageszeitungen“ umfragen ließ, wer denn nun einwandfrei der „Journalist des Jahrhunderts“ sei. Eindeutiger Sieger, noch weit vor Mussollini oder W. Clement: Rudolf Augstein.
Dieses Ergebnis überrascht, denn erstens ist Frau M. G. Dönhoff noch mindestens um acht Umdrehungen scheißliberaler als der schluckfreudige Spiegel-Verleger, zweitens lässt es all die anderen verdienten Medienmenschen außer Acht, die auch füglich Rang und Titel verdient hätten. Nehmen wir also in Windeseile und ohne auch nur annähernd einen leitenden Kollegen zu befragen, das Top-Journalisten-Ranking des Jahrhunderts vor. Exklusiv für Sie daheim an den Zeitungsgeräten!
Vergeben wir mal zuvörderst den Preis für die bestrecherchierten Journalistenkoteletten des Jahrhunderts. Und zwar an Giovanni di Lorenzo (Tagesspiegel), der damit seinen Kontrahenten Thomas Hüetlin (nur Reporterspiegel) gerade noch um Kopfhaaresbreite aus dem Rennen schlagen konnte. Glückwunsch und Dank an die Mutter!
Legt man auf solche Feinheiten schon Wert, dann siegt, da Paul Kuhn nicht vom Fach ist, in der Kategorie gründlichste Journalistenzahnlücke des Säkulums nur einer: der väterliche B.Z.-Verweser Franz „Josef“ Wagner, der vor Freude über diesen unerwarteten Sieg noch heute mindestens zwei seiner Redakteure feuern wird. Das haben die nun davon.
Erstmals soll heuer auch der ausgewogenste Mittelinitialträger des Jahrhunderts im Journalistikbereich gewürdigt und bepreist werden. Nominiert sind Henryk M. Broder und Benjamin V. Stuckradbarre, the winner is aber kein anderer als der ehrenwerte konkret-Mogul Hermann „Lider“ Gremliza. Hurra, ein Sieg der Vernunft! Und wenn wir schon dabei sind, dann versehen wir auch die in ihren Kreisen bereits legendäre Eckes-Edelfeder Paul Sahner mit einem Preis unserer Wahl. Er darf die journalistische Schmierseife des Jahrhunderts in seinen Pokalschrank stellen; vor allem dafür, dass er es schaffte, den schon im freien Fall befindlichen Möbelhaustroubadour Rex Gildo mindestens zwei Jahre vor dessen Aufschlagen exklusiv für Bunte zu interviewen.
Bild-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß, der darob schon ganz neidisch ist, soll aber keinesfalls leer ausgehen – er darf sich fortan Blitzmädel des Jahrhunderts nennen, und das nicht erst, seit er mit martialischem Furor über die Waffenarsenale des von ihm so heiß geliebten Kosovokrieges Bericht erstatten durfte. Sondern schon seit 39.
Für seinen auch in sozialdemokratischen Krisenzeiten unerschütterlichen Glauben an das Rechte ehren wir den gleichfalls „direkt“ aus Berlin herauslächelnden Laienprediger Pater Peter Hahne (BamS bzw. ZDF) mit der Auszeichnung Sonntagsdenker des Säkulums. Einmal in der Woche zu glauben, man hätte einen Gedanken, und diesen dann auch noch ins Hackbrett zu hauen, das nennen wir vorbildliche Glaubensstärke.
Da bleibt uns abschließend nicht viel mehr, als schnell noch den Orden für den erfolgreichsten deutschen Journalist seit dem Zweiten Weltkrieg zu vergeben. Den könnte man zwar aus Mitleid dem Ex-Bild-, Ex-„Gottschalk“-, Ex-Tango-, Ex-„Kohl“-Mann Hans Hermann Tiedje verleihen, aber das wäre gegenüber den anderen nicht fair. Der einzig würdige Träger dieser höchsten Ehrenmedaille aus Heftklammerblech und Setzblei heißt aber keineswegs, wie mache vielleicht hätten vermuten wollen, Henri Augstein oder Rudi Nannen, sondern, weil er sich diesen Titel vorab schon selbst verliehen hat: Helmut Markwort. Nicht zuletzt deswegen, weil er in der Fernsehwerbung über seine aktuelle Rätselzeitung Focus (die mit den tollen Preisen!) sagen darf: „Einfache Fragen sind das nicht. Dafür sind die Preise toll!“
Wir erheben uns von den Plätzen, sind begeistert ob des Medaillensegens, gerührt von so viel Großzügigkeit und nehmen demütig die einzige noch verbliebene Auszeichnung in Empfang: die für die überflüssigste Ehrung der Zivilisationsgeschichte. Besten Dank auch!
Oliver Maria Schmitt
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