: Skisport live: Heiße Luft in kalter Luft
Nach dem Abschluss der Vierschanzentournee zählt RTL seine Zuschauer. Auch wenn die Quoten nicht wie erträumt waren, lohnt sich die aufgemotzte und neu inszenierte Skisprung-Operette ■ Von Bernd Müllender
Hat Martin Schmitt nur Husten oder ist er richtig vergrippt? Bronchitis gar? RTL-Vorberichte zu den Vorberichten zum entscheidenden Abschlussspringen der traditionellen Vierschanzentournee klangen seit Tagen wie dramatische Krankenstandsmeldungen. Kann er fiebrig fliegen und weit genug? Deutschland zitterte um seinen Starhüpfer. Und schaltete ein.
Derzeit ist alles Skispringen: Audi schaltet eigene Schanzenspots ebenso wie Mannesmann D2. Das RTL-Quiz testet das Wissen schon lange vor Übertragungsbeginn in seinen News-Shows: „Wie viel Meter muss Schmitt aufholen?“ Dann gestern die ersten Bilder vom entscheidenden Wettbewerb. Günter Jauch, neuerdings Wintersportexperte: „Beeindruckend ist das Panorama.“ Zu sehen ist der RTL-Hubschrauber.
„Die Formel 1 des Winters“ hatte RTL aus dem Skispringen, insbesondere der Vierschanzentournee, machen wollen. Doch neu erfunden hat RTL das Hüpfen nicht: Immer noch laufen sie an, fliegen ein paar Sekunden durch die Luft und landen so telemarkig sie es schaffen. Nur die Darstellung ist anders geworden: Nie war so viel Skispringen im TV. Gleichzeitig ist der Sport bruchgelandet: Aus Wettkampf wurde Ski-Operette.
„RTL zelebriert Sport und kreiert Events“
Die Quoten waren nicht berauschend. Es wurden am Neujahrstag 7,88 Millionen; das ZDF hatte im Vorjahr 8,43 Millionen. Beim dritten Springen am Montag waren es 5,72 Millionen; die ARD hatte im Jahr zuvor glatte 8 Millionen. Dennoch: „Wahrhaft kein Grund zur Traurigkeit“, so RTL-Sprecherin Simone Danne.
Dennoch müssen wir keine Sorgen um RTL haben. 48,5 Millionen Mark hat der Sender hingelegt für drei Jahre Skisport komplett. Das klingt nach mehr, als es im Medienbusiness heute ist. Denn refinanziert wurde von Anfang an mit Skisport als Handelsware: Alpine und Nordische Wettbewerbe wurden gleich weiter verkauft an ARD/ZDF und Eurosport.
Den Rest muss Werbung bringen. Die bekommt man bei entsprechend viel Sendezeit. Und bei viel Ballyhoo drumherum, denn wen interessiert Skispringen schon so richtig außer zur rituellen Ausnüchterungsübung am Neujahrsnachmittag? „RTL“, sagte schon sein Informationsdirektor Hans Mahr vorher, „zelebriert Sport und kreiert Events.“
Die Bedeutung haben wir seit dem Millenniumswechsel erlebt. Mit Fackel sprang der zurückgetretene Altstar Dieter Thoma nächtens von der Olympiaschanze in Garmisch: Silvester lief er an, Neujahr landete er. Und alles live. Dann wurde gehüpft und gesprungen wie gehupft wie gesprungen zu nachmittäglicher Sendezeit. Hans Meiser, Bärbel Schäfer und Konsorten können Urlaub machen: Zwei Nachmittage lang Qualifikationsspringen live mit Nachbereitung der Vorlaufprobesprünge, von deren Existenz kaum jemand bislang überhaupt etwas ahnte. Dabei ist das für die Top 15 der Springer nur ein folgenfreier Übungsdurchgang. Und die Zuschauer erfahren bei guten Weiten so etwas Essenzielles wie: „Mit dem ist morgen wohl auch zu rechnen.“ Solches Spannungsaufbau-Gequatsche dient dem Anfixen für den nächsten Tag. Heiße Luft in kalter Luft.
Und bei den Wettkämpfen? Vorbereitung, Nachbereitung und die Sprünge selbst addieren sich zu jeweils vier Stunden Sendezeit. Vier Stunden – für zweimal zehn wichtige Sprünge der Top-Leute. Skispringen ist von sich aus kein Mediensport, zu kurz sind die Stars in Aktion. Also wird weiter vorberichtet und nachanalysiert und zwischeninterviewt. Und das Springen vor Ort wird, seit RTL sendet, einfach unterbrochen: in jedem Wettbewerb je dreimal je eine Minute bei beiden Durchgängen. Macht für drei Jahre über eine Stunde Einnahmezeit. Schon sind 15 bis 20 Millionen einplanbar.
Neu ist die notorische Werbungskombination à la RTL: Auch während der Wettkämpfe laufen Reklamespots. Die Live-Springer sind ohne Kommentar klein links oben eingeblendet. Solche „Split-Screens“ bringen einem nichts und sind eigentlich in Deutschland verboten, aber die Landesmedienanstalten tolerieren es. RTL habe es, so Sprecherin Danne, „mit den Unternehmen abgesprochen“.
Die Akteure müssen durch mediale Dauerpräsenz ins Bewusstsein eingebrannt werden, bis jeder wirklich glaubt, die Schanzenhüpfer seien wichtig – allen voran Martin Schmitt, Doppelweltmeister aus dem Schwarzwald und aktuell Erster im Weltcup. Vordergründig aus sportlichen Erwägungen, vor allem aber, weil er sich in die Herzen vor allem des jungen Publikums lächelt und zum Teenieschwarm wird. „Süß rüberkommen“ müsse er, sagt auch Dieter Thoma und diagnostiziert „Massenhysterie“, die ihm erspart blieb, als es noch um Weiten und Haltungsnoten ging.
Schmitt, „der deutsche Hero“ (Mahr), muss dem Sender ständig für Interviews zur Verfügung stehen. Das tut er auch für eine Million Extragage im Rahmen des Kooperationsvertrages mit RTL. Wenn Schmitt sein Markenzeichen, den Milka-Helm abnimmt, setzt er die Milka-Kappe auf. 36 Kameras, 250 Mitarbeiter jeweils vor Ort. Das bedeutet: mehr Perspektiven. Vom immer gleichen Anlauf-Absprung-Landung.
Die Windrichtung wechselt schon mal wie früher auch
Die Zeitlupen sind nicht schneller geworden. Die Wind- und Tempomessergrafiken sind die gleichen wie beim ZDF. Die Windrichtung wechselt schon mal wie früher auch. Pech, wenn ein Spitzenspringer von einer Werbeunterbrechung betroffen ist. Sind die Bilder dadurch besser geworden? Ja, sagt RTL! „Ich bezweifle, ob normale TV-Zuschauer sich davon überhaupt ein Bild machen können“, glaubt Sprecherin Danne. „Längst haben die Fernsehsender das Diktat über den Sport übernommen“, weiß selbst Sport-Bild.
Immerhin: Die lange angekündigte Helmkamera, die quasi ein Mitfliegen des Zuschauers ermöglichen sollte, wurde gestrichen. Selbst RTL musste einsehen, dass eine solche die Sportler womöglich stören würde. Piepsstimme Jens Weißflog, der bei den Öffentlich-Rechtlichen noch den Analysator gab, wurde durch den erträglichen Dieter Thoma ersetzt. Und Günter Jauch, die Allzweckwaffe des Senders für alles Zuquatschen sportiver Ereignisse, gibt auch im dicken Winterpullover einen brillanten Schwiegersohn ab. Auch wenn er traurig war gestern, als es nix wurde mit dem Milka-Män.
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