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Wohltätige Arzneimittelproben

Die Berliner Ärzte streiten über Sinn und Unsinn des Globalbudgets, während die Pharmavertreter den Strom von Gratismedikamenten zum Jahresende versiegen ließen

Das Sprechzimmer sah im Dezember wie ein Kaufmannsladen aus: Was sich in Schränken und Schubladen an wohltätigen Arzneimittelproben der Pharmaindustrie gefunden hatte, war farbenfroh aufgestapelt worden. Da fand sich auch ein Röhrchen Hustenlöser für die Patientin, die vergrippt in der Arztpraxis im Prenzlauer Berg aufgetaucht war. Nur ein paar Tabletten zwar und auch nicht gerade das Wunschmedikament, aber dafür gab es warme Worte, Ernährungstipps und Krankschreibung vom Doktor dazu.

Der Allgemeinmediziner Rolf Beck hatte in seinem Wartezimmer Flugblätter verteilt. Das Berliner Budget für Medikamente sei aufgebraucht, erklärte er darin seinen Patienten: „Alles, was ich Ihnen jetzt verschreibe, muss ich aus eigener Tasche bezahlen.“ Also gab er Pharmaproben aus.

Inzwischen hat er die Flugblätter wieder eingesammelt, und seit Januar verschreibt er auch wieder Großpackungen. Mit dem Quartalswechsel ist die Zitterpartie der Ärzte zwar vorerst beendet, das Problem des Arzneimittelbudgets aber nur verschoben. Generell wird es die Budgets weiter geben – die „Kleine Gesundheitsreform“ ist zum Jahresbeginn in Kraft getreten; wieviel die niedergelassenen Ärzte bis Ende 2000 ausgeben dürfen, darüber wird allerdings erst ab diesem Monat beraten. Erschwert werden die Verhandlungen dadurch, dass die Kassen voraussichtlich nicht vor Jahresmitte wissen werden, wie viele Medikamente im vergangenen Jahr über das Limit hinaus verordnet wurden. Von den Ärzten können sie dann fünf Prozent der Budgetsumme einfordern und kollektiv auf alle verteilen.

Diese Aussichten haben Empörung ausgelöst. 1998 haftete jeder Arzt noch individuell, wenn er für seine Fachrichtung überdurchschnittlich viel verschrieben hatte. „Fast überall in Deutschland ist 1999 das Budget überschritten worden“, verteidigt Susanne Glasmacher von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin die niedergelassenen Ärzte der Stadt. Dass die Berliner Ärzte die Budgetgrenze so frühzeitig erreicht haben, habe verschiedene Gründe: Bisher gab es einen Zuschlag zum Budget, wenn Ärzte chronisch Kranke ambulant versorgten. Dieser fiel 1999 unter den Tisch. Zudem leben 20 Prozent der bundesweit an Aids Erkrankten in Berlin. Allein ihre Versorgung hätte den Zuwachs des Budgets 1999 gegenüber 1996 aufgebraucht.

Pico Jordan, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, widerspricht: „Aidspatienten konzentrieren sich doch nicht erst seit gestern hier.“ Zu viele Ärzte verordneten falsch und teuer, weil sie die Auseinandersetzung mit den Patienten scheuten. Die Budgethaftung werde zwar als ungerecht empfunden, aber „der Ort, wo Medikamente ausgegeben werden, ist nun mal der Arzt“, sagt Jordan. Es werde nur eingefordert, was gesetzlich sowieso vorgeschrieben sei: Bei Bagatellerkrankungen wie einfachen Erkältungen gibt es keine Medikamente auf Rezept. Allerdings gesteht Jordan den Berliner Ärzten besonderen Konkurrenzdruck zu – ihr jährlicher Verdienst liegt im unteren Bereich des Bundesdurchschnitts.

Heiko Jessen kennt das Problem. Obwohl er in seiner HIV-Schwerpunktpraxis in Berlin-Schöneberg nicht über Patientenmangel klagt, schränken ihn die Verschreibungslimits ein. Jessen sagt aber auch, dass viele Patientenwünsche aus einem missverstandenen Solidaritätsprinzip entstanden seien. Verschreibungen sind oft Willkürsache: „Da sitzt die Frau Schulz, die kenn ich 30 Jahre, die kriegt ihre Durchblutungstropfen, ehe ich 45 Minuten mit ihr diskutiere.“

Schwieriger für Jessen ist, dass die Medikamente für seine etwa 750 HIV-Patienten rund 100 Mal so teuer sind wie die Arzneien, die ein Hausarzt normalerweise verschreibt. Doch zugleich findet es Jesse „ungerecht, dass ein Orthopäde für meine HIV-Leute mit bezahlen soll“. So werde die Ärzteschaft zersplittert. Jesse ist mit den Verschreibungsbudgets bereits in Konflikt geraten: Als er vor drei Jahren mit der neuen, kostspieligen Dreier-Kombi-Methode die Immunschwäche behandelte, wollten ihm die Kassen Einhalt gebieten. Doch inzwischen sind diese Medikamente längst Standard. „Das System wird immer schwachsinniger. Die Fachgruppen, die am lautesten schreien, kriegen irgendwas“, sagt Jesse. Hausärzte beispielsweise sollten gestärkt werden, ihre Arbeit jedoch sei eingeschränkt durch Regelungen wie den „Bonus Malus“. Die Quartalsabrechnungen von den Kassen würden auch nur noch die wenigsten Ärzte verstehen, die Diskussionen und Neuregelungen schüchtern sie ein.

Vielleicht bekommt deshalb ein Kollege am Kurfürstendamm beim Thema Globalbudget gleich einen Wutanfall: „Das kümmert mich alles nicht, man kann ja sowieso nichts machen!“ Probepackungen der Pharmaindustrie als Notlösung würden das Budget nur weiter nach unten drücken. Außerdem seien die Pharmaleute mit allen Wassern gewaschen und hätten den Strom von Gratismedikamenten zum Jahresende hin wohlweislich versiegen lassen. Seinen Namen will er aber in diesem Zusammenhang lieber nicht in der Zeitung lesen. Margret Steffen

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