: Traum eines hartnäckigen Menschen
Imago-Betreiber Peter May kämpft um die frei gewordenen 40.000 Mark für das Piccolo-Theater. Ohne finanzielle Hilfe wird er seine Bühne wohl schließen müssen ■ Von Ralf Poerschke
Für zwei Hamburger Theater war das vergangene Jahr auch das letzte: Im Mai zog die Kulturbehörde einen Schlussstrich unter ein halbes Jahrhundert Theater im Zimmer, und im Dezember warf Piccolo-Theater-Betreiber Gerd D. Samariter aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch. 40.000 Mark an Subventionen hatte Samariter zuletzt bekommen. Und dass dieses Geld nun eingespart werden soll, dafür hat einer ganz besonders wenig Verständnis: Peter May, Intendant sowie einziger Regisseur und Schauspieler des Theaters Imago. Seit 1983 bemüht er sich um eine kontinuierliche Förderung durch die Stadt – vergeblich. „Aber diesmal lasse ich nicht locker“, verspricht der 60-Jährige. Allein was ihn treibt, ist auch Verzweiflung: von Monatsende zu Monatsende das Bangen um die eigene Existenz, weil er nicht weiß, woher er das Geld für die Miete nehmen soll.
Als legitimer Erbe der Piccolo-Subventionen kann sich Peter May in mehrfacher Hinsicht sehen: Ähnlich wie Samariter ist er seit langem ein zäher, (politisch) engagierter Einzelkämpfer im Hamburger Kulturbetrieb, auch er verficht anspruchsvolle Stücke jenseits banaler Unterhaltung – und hat ebenfalls einen sehr kleinen Spielort bei gleichzeitig geringer Platzausnutzung. 49 Zuschauer fasst der Raum in der Admiralitätstraße 71, doch wenn sich am Abend sechs einfinden, ist May eigentlich schon zufrieden. Sonst fällt die Vorstellung nämlich aus, und das passiert nicht erst in jüngster Zeit recht häufig.
1992 war die Welt für den Theaterbesessenen noch halbwegs in Ordnung. Mit seiner Dramatisierung von Hermann Hesses Steppenwolf konnte er einen bis dato nie dagewesen Publikumserfolg landen. Obwohl die Presse die Premiere geschlossen ignorierte, kamen im Schnitt 250 Zuschauer pro Woche. „An manchen Tagen habe ich Doppelvorstellungen gegeben, und ich musste sogar mal Leute wegschicken, weil das Haus ausverkauft war“, erinnert sich May. Inszenierungen mit zwei oder gar drei Gastschauspielern gerieten dagegen öfters zu Flopps. „Da potenziert sich dann der Frust, wenn das Publikum ausbleibt.“ Deswegen hat sich May seit längerem ganz auf Solos verlegt.
Im Grunde kommt ihm das entgegen. Es sind die Außenseiterfiguren des Theaters, die ihn interessieren, der Krapp etwa in Das letzte Band von Samuel Beckett. Nicht selten hat er diese Typen in Erzählungen und Romanen der Weltliteratur gefunden, welche er daraufhin für die Bühne bearbeitete:Ansichten eines Clowns von Heinrich Böll, Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen von Nikolai Gogol oder Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie. „Mach' doch mal was Lustiges“ – diesen Rat kann Peter May langsam nicht mehr hören. Für humorvolles Theater steht bei ihm ein Name wie Dario Fo. Aber ihm ist natürlich klar, dass er auch damit weit am Geschmack der Masse vorbei zielt. Sein letzter Versuch, die Hamburger mit einer Premiere zu ködern, war Hughie von Eugene O'Neill. Das liegt jetzt schon beinahe zweieinhalb Jahre zurück. Seitdem gibt es im Imago nur noch Wiederaufnahmen zu sehen; Zeit und Kraft für neue Projekte fehlen.
Hinzu kommt, dass Peter May mit seiner langjährigen Lebensgefährtin, einer gelernten Reiseverkehrskauffrau, 1996 in der Grindelallee ein Reisebüro eröffnete, um neben dem dauerdefizitären Imago ein zweites Standbein zu besitzen. Ihr tragischer Tod vor acht Monaten hat die Lage für May – nicht nur privat – noch verschlimmert. Sie war die wichtigste Stütze des Theaters in Sachen Beleuchtung, Kasse, Gastronomie und Organisation, und ohne sie erweist sich das Reisebüro eher als Belastung: Das Geschäft läuft nicht gerade rosig, und nach einem achtstündigen Bürotag eine respektable Figur auf der Bühne zu machen, geht an die Substanz. Und früher hat May ja auch seine eigenhändig verfertigten Plakate selbst geklebt. Seit das verboten ist, ist auch damit Schluss.
Aber Peter May ist ein hartnäckiger Zeitgenosse. Schließlich hatte es der gebürtige Wiener, der den Beruf des Werkzeugverkäufers aufgab, um Schauspielerei, Ballett und Gesang zu erlernen, und später mit Bernhard Minetti auf der Bühne stand und mit Regisseuren wie Peter Zadek oder Jerome Savary zusammenarbeitete, von Anfang an nicht leicht in Hamburg. Sein erster Versuch mit dem Imago im ehemaligen Klick-Kino in der Glashüttenstraße scheitere nach knapp zwei Jahren an den zu hohen Kosten. Und nach dem Umzug auf die Fleetinsel hatte er sich zweier Zwangsräumungsversuche „wegen Unverträglichkeit“ zu erwehren, bevor 1987 ein regelmäßiger Spielbetrieb aufgenommen werden konnte.
So richtig geht es Peter May allerdings gar nicht mehr um das Geld. „Ich fordere Anerkennung für meine Arbeit“, sagt er stolz, „und ich will die Kultursenatorin von ihrem hohen Ross herunterholen.“ Ein einziges Mal habe Christina Weiss sein Theater besucht, gleich nach ihrem Amtsantritt anno 1991. Gesprochen habe sie da aber nicht mit ihm, und auch auf seine Briefe „lässt“ die Senatorin seitdem antworten. Auch jetzt ist sein Ansinnen nahezu aussichtslos: Das letzte in die Förderung aufgenommene Privattheater war das Theater in der Basilika – vor acht Jahren. Mithin spricht einiges dafür, dass das Imago das nächste Schlie-ßungsopfer der Sparpolitik sein könnte. Das wäre schade: Denn nirgendwo in Hamburg vermittelt sich Theater derart direkt und distanzlos und wird so rückhaltlos auf die Präsenz eines einzigen Schauspielers gesetzt. Momentan übrigens spielt Peter May eine Bearbeitung von Dostojewskijs Traum eines lächerlichen Menschen.
Vorstellungen Mi - Sa, 20 Uhr, Theater Imago, Admiralitätstraße 71, Tel.: 36 66 63
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen