Briefflut von Zwangsarbeitern

■ Ehemalige Zwangsarbeiter stellen vermehrt Ansprüche / Weitere Gruppe polnischer Zwangsarbeiter wurde eingeladen

An den „Oberbürgermeister, Stadt Bremen, Bundesrepublik“ steht auf den meisten Umschlägen. Die Briefmarken stammen aus der Ukraine, Polen, Litauen. Aber die Briefe aus dem Osten landen nie bei Henning Scherf auf dem Tisch. Postwendend werden sie an das Staatsarchiv geleitet, wo die Anfragen der ehemaligen Zwangsarbeiter aus Bremen bearbeitet werden.

Dezember war ein heißer Monat: Da wurde über die Entschädi-gungszahlungen Deutscher Firmen diskutiert. Und da kam noch mal ein ganzer Schwung Briefe ins Staatsarchiv, meint Ina Determann, Mitarbeiterin im Verein Zwangsarbeit Walerjan Wrobel. Viel mehr jedenfalls als sonst, und das sind durchschnittlich zehn Briefe pro Woche. Seit Mai 1998 sind insgesamt rund 300 Briefe angekommen.

Und dann geht die Recherche los: Akten wälzen, telefonieren, Akten anfordern. Vielleicht tauchen die Namen der Absender in irgendwelchen Listen auf, die belegen, wo sie gearbeitet haben, in welchem Lager sie in Bremen gelebt haben. „Das dauert manchmal eine Stunde, manchmal einen Vormittag“, schätzt Determann. „Aber meistens findet man nichts.“ Viele Unterlagen wurden vernichtet. Nur aufgrund der genauen Angaben kann dann eine Arbeitsbestätigung ausgestellt werden.

„Die meisten werden es allerdings schwer haben, Entschädigungen zu bekommen“, glaubt Determann. Denn viele der Zwangsarbeiter in Bremen haben als Landarbeiter gearbeitet, und die sollen nach den bisherigen Planungen leer ausgehen. Und auch Industriearbeiter hätten kaum Chancen, wenn sie ähnlich detaillierte 20-seitige Fragebögen, wie bei Volkswagen oder Siemens, beantworten müss-ten.

Genaue Informationen über die Entschädigungen gibt es nicht: „Wir weisen alle darauf hin, dass sich die Ostarbeiter bei den Stiftungen in ihrem Land erkundigen sollen.“ Und dass sie alle Unterlagen bereit halten sollen, denn die Antragsfristen würden vermutlich sehr kurz gehalten.

Auf frühen Listen stehen rund 200 Bremer Unternehmer, die Zwangsarbeiter beschäftigten – „aber das ist eine Momentaufnahme von 1944“. Viele der Betriebe, vor allem die Rüstungsindustrie gibt es heute nicht mehr. Nach Angaben des Vereins Walerjan Wrobel hat sich bisher keine Bremer Firma am Stiftungsfond beteiligt. „Es gibt keine Firma, die kommt und fragt, wie können wir uns beteiligen“. Schließlich gebe es keinerlei Druckmittel.

Bei kleineren Betrieben seien die Berührungsängste der Firmenleitung aber geringer. Ein paar Betriebe hätten sich beim Verein erkundigt, ob sie auf der Liste des American Jewish Commitee stünden. Und in Bremen Nord hat eine Weberei 10.000 Mark gespendet, als sie ein ehemaliger Zwangsarbeiter des Betriebs um Hilfe bat.

Im Gegensatz zum Entschädigungsfond will der Bremer Verein Walerjan Wrobel Einzelfallhilfe leis-ten. Mehr als 20.000 Mark an Spenden hat der Verein bekommen, nachdem ehemalige Zwangsarbeiter aus der Ukraine zu Gast waren. „Das waren alles Privatspenden“, freut sich der Leiter des Staatsarchivs Hartmut Müller.

Aus diesem Topf sollen jetzt ehemaligen Zwangsarbeitern aus Osteuropa „kleine Summen geschickt werden, vielleicht 200 Mark, um in einer konkreten Situation zu helfen.“ Auch das St. Jürgen-Krankenhaus hat jetzt eine Medikamenten-Spende übernommen: Eine herzkranke Frau in der Ukraine bekommt erstmal für drei Monate Tabletten und Tropfen geschickt.

Außerdem soll in diesem Sommer eine weitere Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter eingeladen werden. „Das soll natürlich kein Ersatz für die Entschädigungen auf Bundesebene sein“, berichtet Pressesprecher Jörg Henschen. Es soll zeigen, dass BremerInnen heute anders denken, hatte Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) erklärt. Derzeit bemüht sich ihr Ressort um weitere Firmenspenden, die dann noch einmal von der Stadt verdoppelt werden sollen. „Wir hoffen, bis zum Frühjahr die Gelder zusammen zu haben“, sagt Henschen. Die Planungen für den Besuch liegen beim Verein Walerjan Wrobel, die diesmal ehemalige Ostarbeiter aus Polen einladen wollen. „Wir gehen davon aus, dass das zustande kommt.“ pipe