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Alles umsonst: Business as usual

Kaum ein Autofahrer will kostenlos S-Bahn fahren. Voll ist es trotzdem  ■ Von Silke Langhoff

Neugraben, 7.30 Uhr in der S 31, Richtung Altona. Müde Gesichter verstecken sich hinter Zeitungen. Alle Plätze sind besetzt, auch auf den Gängen drängen sich die PendlerInnen. Ein ganz normaler Montagmorgen – fast: Alle Fahrgäste haben eine Fahrkarte, bräuchten aber keine. Doch das Alternativ-Angebot zum Stauerlebnis Elbtunnel, an den drei ersten Wochentagen kostenlos zwischen den Haltestellen Neugraben und Altona zu pendeln, hat kaum jemanden vom Steuer gelockt.

Dabei hat die Bahn für die Werbeaktion extra viele neue Züge auf den Linien S 3 und S 31 eingesetzt. Keine alten Körperausdünstungen oder ausgelaufenen Bierdosen sollen das Schnupperangebot verleiden. So profitieren von dem netten Zug auch Dauer-BahnfahrerInnen. Dass die notorischen AutonutzerInnen drei Tage ohne gültigen Fahrausweis reisen dürfen, stört die Abonnementskarten-InhaberInnen nicht. Allerdings sind sie ohnehin nicht die einzigen, die gezahlt haben: an den Fahrkartenautomaten informiert nur ein unauffälliger Aufkleber über die Sonderaktion. Am S-Bahnhof Harburg-Rathaus verwirren gar Din A 4-große Schilder mit dem Hinweis „Einzelfahrkarten heute auch am Schalter“ die KundInnen.

Auch Christian Gustke ist verunsichert. „Ist das heut' nicht umsonst?“ will er vom Schalterbeamten wissen - „nee, nicht umsonst, aber kostenlos.“ Auch gut. Als Stau-geschädigteR outet sich keineR. Kurz vor acht findet sich in der S 3 endlich eine „echte“ Umsteigerin: Katja Hopert will von Harburg in die Innenstadt. Das Bahnfahren ist ihr normalerweise zu teuer, „wenn man sowieso ein Auto hat“. Außerdem arbeitet sie oft lange und meidet ab 20 Uhr die Bahn aus Sicherheitsgründen. Aber „eigentlich ist's ja stressfreier“ findet die 30-Jährige und reibt sich dabei die halbgeöffneten Augen. Trotzdem wird sie ab Donnerstag wieder mit ihrem Opel Astra in die City fahren. „Absolut sinnlos“ ist das Angebot für Michael Heitefuß. Trotz zähen Verkehrs ist er mit dem Auto schneller an seinem Arbeitsplatz in Stellingen als per Bahn. Zudem ist er noch auf Busse angewiesen. Diese sind jedoch zahlungspflichtig wie eh und je. Der Angestellte fährt aber ohnehin ab und zu Bahn, weil es „mehr Spaß macht“. Die Aktion findet er im Ansatz gut, aber viel zu wenig durchdacht.

Das sehen die Verantwortlichen ähnlich. „Vielleicht müssen wir das Gesamtangebot überdenken“ gibt die S-Bahn-Pressesprecherin Karin Fech zu, „aber als die Elbtunnelsperrung bekannt wurde wollten wir schnell handeln“. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) hat die Freigabe auf die lila Linie begrenzt, um die Einnahmeverluste gering zu halten. Auch Gisela Be-cker, Pressesprecherin des HVV, zweifelt am Sinn der ad-hoc-Aktion, „aber so etwas kann nun einmal nicht für alle gelten“.

Um halb neun haben sich die Bahnen wieder gelichtet - im Gegensatz zum Nebel. In Hammerbrook lassen sich aus dem Fenster viele kleine Scheinwerfer-Paare ausmachen. Sie kommen nur langsam vorwärts.

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