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Bündnis für Lohnverzicht

Kaum weniger Arbeitslose und geringere Lohnsteigerungen: Das Bündnis für Arbeit entpuppt sich als ein Sieg der Arbeitgeber über die Gewerkschaften ■ Von Hannes Koch

Die einzige Klarheit scheint darin zu bestehen, dass durch das Bündnis nur wenige Arbeitslose schnell einen neuen Job finden

Für manche Leute ist eine Formel etwas ungeheuer Wertvolles. Mit einer Gleichung können NaturwissenschaftlerInnen Millionen von Einzelfällen exakt vorhersagen. Ein Formelkompromiss in der Politik ist etwas grundsätzlich anderes. Zu seinen Eigenschaften gehört es, den Sachverhalt möglichst ungenau zu beschreiben. An diese Regel zur Definition politischer Wahrheit haben sich die TeilnehmerInnen des Bündnisses für Arbeit exakt gehalten.

Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am Sonntag Nachmittag als „Durchbruch“ präsentierte Erklärung klingt so blumig wie eine Ode an den Sonnenaufgang. Gestern war das Stück politischer Poesie deshalb Gegenstand mannigfaltiger Exegese. Entgegen des Titels der gesamten Veranstaltung besteht die einzige Klarheit wohl darin, dass nur wenige Arbeitslose schnell einen neuen Job finden.

Was haben die Unterhändler Schröder, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Dieter Schulte, denn beschlossen? Dass ältere Beschäftigte jenseits der 55 ihre Arbeitsplätze für jüngere KollegInnen irgendwie freimachen können. Und dass die Lohnerhöhung für die Belegschaften in Zukunft irgendwie daran gemessen wird, wie ihre Arbeitsleistung steigt. Die vielen „Irgendwies“ sind das Problem. Also steht auch komplett in den Sternen, wie viele Arbeitslose in den kommenden Jahren neu eingestellt werden.

Man kann davon ausgehen, dass die am Sonntag vereinbarte „beschäftigungsfördernde Tarifpolitik“ noch am ehesten in der Metallindustrie schnell Früchte trägt. Schließlich hat IG-Metall-Chef Klaus Zwickel die Rente mit 60 am vehementesten gefordert und wird die „Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt“ in den Tarifverhandlungen diesen Jahres durchzusetzen versuchen. Doch selbst die Metallgewerkschaft schätzt die Zahl der Neueingestellten auf maximal 142.000 in den nächsten Jahren.

Angesichts der Zahl von vier Millionen Arbeitslosen kann dies als eher kleiner Beitrag gelten. Und selbst diese Wirkung ist an mannigfaltige Voraussetzungen geknüpft. Sie stellt sich nur ein, wenn quasi alle Betriebe der Metall- und Elektrobranche mitmachen und die Verbände einen entsprechenden Tarifvertrag schließen. Das genau aber lehnt Werner Stumpfe, Chef der Metall-Arbeitgeber, ab (siehe Interview).

Als Ersatz könnten die Metallgewerkschaft und der Unternehmerverband eine relativ löchrige Rahmenvereinbarung schließen, die es den einzelnen Betrieben überlässt, wieviele ältere Mitarbeiter sie vorzeitig nach Hause schicken. Kommt es zu vielen Minilösungen, wird die Entlastung des Arbeitsmarktes geringer ausfallen.

Einen Hinweis darauf gab gestern der Bundesarbeitgeberverband Chemie. Sprecher Burkhard Jahn bezifferte die Neubesetzungen von Stellen infolge des gültigen Branchen-Tarifvertrages zur Altersteilzeit auf „weniger als 10.000 Personen“.

Abgesehen davon weiß niemand, ob andere Branchen die Bündnis-Regelungen tatsächlich anwenden werden. Michael Knoche, der Sprecher der IG Bau, sieht dafür in seinem Bereich kaum Chancen. 58jährige Bauarbeiter sehe man fast nicht mehr auf den Baustellen. Außerdem gehe es bei den Tarifverhandlungen in der Branche eher darum, Altersarmut zu verhindern, als zusätzliche Jobs zu schaffen, so Knoche.

Für den möglicherweise marginalen Erfolg der Altersregelung haben die Gewerkschaften unter Schröders Druck den Unternehmern ein schönes Geschenk gemacht. Die Löhnzuwächse sollen sich in den kommenden Jahren im Rahmen der Produktivitätssteigerung bewegen. Das könnte für die Unternehmen recht billig werden. Angesichts eines gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachses von 2,5 Prozent 1999, könnten sich die Lohnsteigerungen sogar unter zwei Prozent einpendeln: eine große Gefahr, meint Ökonom Gustav Horn. Sinnvoll sei der Bündnis-Beschluss nur dann, sagt der Konjunkturexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, wenn die Beschäftigten zusätzlich zum Produktivitätszuwachs auch einen Inflationsausgleich bekämen. Drei Prozent Lohnsteigerung würden die Nachfrage ankurbeln und damit tatsächlich Jobs schaffen. Das Wort „Inflation“ taucht in der Bündnis-Erklärung nicht auf. Von der Klärung all dieser Ungereimheiten wird abhängen, ob Schröders symbolischer Akt vom Sonntag auch Wirkung haben wird.

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