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Phil Collins? Viel zu wild und gefährlich

■ Wir hören das komplette Radioprogramm der Region an: Nach „Radio Bremen 2“ und „Radio wir von hier“ nun der dritte Teil unserer hübschen neuen Serie „Du und Deine Sender“. Heute: das erfolgreiche NDR 1 Radio Niedersachsen

Nie war so viel Radio wie heute. Vor wenigen Jahren mussten sich die einzelnen Zielgruppen noch zu gewissen Stunden vor den Radiogeräten versammeln. Doch heute hat jedes Grüppchen seinen eigenen Sender. Die älteren Semester hören das Erfolgsprogramm namens NDR 1 Radio Niedersachsen.

Ein alter Radiofuchs vom WDR hat mir mal erzählt: Wer die Hausfrauen nicht begeistert, kann die Quote vergessen. Kein Wunder also, dass der Radiosender, den die meisten BremerInnen hören, von Hannover aus sendet. NDR 1 Radio Niedersachsen ist der erfolgreichste Sender Norddeutschlands, und die Hörer in der Stadt am Weserfluss sind da keine Ausnahme. Irgendwann, früher einmal, da war die Welt von Radio Bremen noch in Ordnung, weil es in allen Hanseaten-Küchen von Neuenkirchen bis Arbergen zum guten Ton gehörte, die gute alte Hansawelle zu hören – vor allem, wenn Monika Kluth und Karl-Heinz Calenberg – Gott hab' ihn selig – zum „Bremer Kaffeepott“ luden. Weil die Bremer nach dem Aufkommen der Privatsender moderner werden wollten und endlos rumreformierten, die Musik mal voll modern und dann wieder furchtbar tranig wurde, drehten etliche Damen (und sicher auch einige Herren) reiferen Alters den Sendesuchknopf irritiert auf der Suche nach ihrer alten Hansawelle ein paar Zentimeter weiter nach links. Dort ist die Niedersachsenwelle zu Hause, und dort fühlten sich viele Hörer sofort richtig heimisch.

Wer Schlager nicht mag, insbesondere seine modernen Spielarten – regelrecht fett produziert und enthusiatisch werden da Hits wie „Du bist mein schönster Gedanke“ oder „So ein Tag wie heut' soll nie vergehen, wenn ins Herz die Sonne scheint“ geträllert –, erlebt hier natürlich sein musikalisches Stalingrad. Wer aber Musik als Baldrian für das Herz betrachtet, ist hier genau richtig. Wenn es mal beunruhigend englisch über den Äther schallt, dann sicher nur bei ganz alten Klassikern wie „Island in the Sun“. Selbst Phil Collins ist für diese Welle viel zu wild und gefährlich. Kein Wunder, dass alle mir bekannten Menschen, die mal im Pflegebereich gearbeitet haben, allergisch auf den Pflichtsender für Altersheime reagieren.

Radio Niedersachsen ist noch genau so, wie das Radio früher war, als Anrufer noch ordentlich gesiezt wurden und es noch keine Privatsender mit verrückten Jingles oder gar Rockmusik gab. Hier heißen Quiz-Sendungen noch Quiz-Sendungen und nicht Call-Ins. Die Ansprache der Moderation ist freundlich, höflich und immer gefasst. Ein deutsches Wort, dass die fast südländische Gelassenheit beschreibt, die sich wie ein roter Faden durch das Programm zieht, gibt es nicht. Das polnische „Spokuje“ oder das „Tranquillo“ des Spaniers oder das Kohl'sche „Aussitzen“ kommen dem noch am nächsten: Ruhig Blut, nicht nur ab und zu, sondern als Lebenseinstellung, Abwarten als einzig richtige Art zu reagieren, wenn mal – Gott bewahre – ein Problem auftauchen sollte.

„Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen“ singen die Leute im Landtag zu Hannover immer, wenn es was zu feiern gibt. Auch diese Attitüde hat hörbar abgefärbt und ist zur größten Stärke von Radio Niedersachsen geworden. Lokaler geht's nimmer, und das, obwohl ein Flächen- und ein Stadtstaat beschallt werden müssen. Das gelingt, weil der NDR an sich einfach ein verdammt großer Laden mit unfassbar viel Geld und Mitarbeitern ist. Freie Reporter melden sich aus Grasberg, Schortens oder Osterholz-Scharmbeck, und die Redaktion schafft es trotz allem, den Anteil an Profanitäten und umgefallenen Milchkannen in den Reportagen erstaunlich gering zu halten. Es geht immer um irgend etwas, was Damen und Herren im reiferen Alter tatsächlich bewegt, unabhängig davon, ob sie in Bremen oder in spärlicher bevölkerten Landstrichen leben. Stoff für gespräche, die mit „Hast du schon gehört...?“ anfangen, gibt es noch und nöcher: Gift in Nike-Hemden, die EXPO oder die Greenpeace-Opis, eine Umweltschutzorganisation für Leute ab 50. Die Bremer Korres-pondentin des NDR, Maren Mommsen, ist hier so oft wie auf keiner anderen NDR-Welle zu hören – ein Beleg dafür, wie ernst der Sender den selbstgesteckten Auftrag nimmt, aus allen Regionen des Sendegebietes umfassend zu berichten. Die Aufgabe, die ihnen die öffentlich-rechtliche Programmteilung in Jugend-, Info- und sonsige Welle zugedacht hat, erfüllen die Hannoveraner also mit einer derart begnadeten professionellen Genauigkeit, dass klar ist, was der Verfasser dieser Zeilen mit der Begeisterung einer Schwachhauser Hausfrau hören wird, falls er zum Herbst des Lebens im Sendegebiet weilen sollte. Lars Reppesgard

NDR 1 Radio Niedersachsen in der Bremer Region auf 91.1 Mhz

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