: Liebe Poesie als Strafe für böses Gedicht
Urteil: Gymnasiast, der über Lehrermord fantasierte, muss positiven Text schreiben
Ein 15-jähriger Gymnasiast aus Neuruppin in Brandenburg, der in einem Gedicht zum Mord an Lehrern aufgerufen und dies selbst als „Scherz“ bezeichnet hatte, ist wegen Gewaltverherrlichung verurteilt worden. Das Amtsgericht Neuruppin sprach dem Schüler gestern eine Verwarnung aus und verpflichtete ihn dazu, ein Gedicht über Liebe, Freundschaft und Solidarität zu schreiben. „Aus unserer Sicht reicht das Urteil aus, da sowohl Schule als auch Elternhaus bereits massiv repressive Maßnahmen verhängt und pädagogische Aufarbeitung geleistet haben“, sagte Oberstaatsanwalt Carlo Weber.
Den Vorwurf der Volksverhetzung musste die Staatsanwaltschaft nach seinen Worten im Laufe des vereinfachten Jugendverfahrens fallen lassen, da die schriftliche Verbreitung des Gedichts mehr als sechs Monate zurücklag und damit verjährt war. Nicht unter die Verjährungsklausel wäre ein Vortrag des Pamphlets vor einem größeren Publikum gefallen. Dies sei jedoch nicht geschehen, sagte Weber. Der Junge habe sich vor Gericht im höchsten Maße einsichtig und reumütig gezeigt. „Er gab zudem an, die Tragweite völlig verkannt zu haben.“
Der Fall war im Dezember bekannt geworden. Das Gedicht habe der Schüler aber bereits Anfang 1999 verfasst, sagte Weber. Seitdem kursierte es in Schülerkreisen. Unter anderem heißt es in dem Gedicht: „Lehrer beißen reihenweise ins Gras, Mann, das ist ein Riesenspaß“ oder „Ich hasse Mathe und die Lehrer ... drum nehme ich die Waffe wieder und strecke alle Lehrer nieder.“ Die Sache war aufgeflogen, als sich eine Schülerin an einen Lehrer gewandt hatte. Daraufhin hatte der Schuldirektor Anzeige erstattet.
Die Staatsanwaltschaft hatte mehrfach betont, sie sehe das Gedicht nicht als Anstiftung zum Mord, nehme die Sache jedoch sehr ernst. „Ich habe Wert darauf gelegt, dass es zu einem Schuldspruch kommt, um die Tat zu stigmatisieren“, sagte Weber. Vereinfachte Jugendverfahren werden in über 90 Prozent der Fälle eingestellt. Der Junge hatte laut Weber bereits von der Schule einen Verweis erhalten und war von einer Klassenreise ins Ausland ausgeschlossen worden. Die Eltern hätten unter anderem Maßnahmen wie Stubenarrest gegen ihren bislang unbescholtenen Sohn verhängt. dpa
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