Schön für Bertelsmann

■ Gütersloher sehen sich durch die Megafusion von Time Warner und AOL bestätigt, ignorieren aber die Risiken fürs eigene Haus

Der echte Jahr-2000-Schock kam am 10. Januar: Die Fusion des Mediengiganten Time Warner mit dem weltgrößten Internet-Provider America Online (AOL) ist ein Quantensprung – mit Auswirkungen für die gesamte Medienindustrie. Zum ersten Mal verfügt jetzt ein einziges Unternehmen nicht nur über alle klassischen Medieninhalte und -verbreitungswege, sondern als führender Online-Dienst auch über den Schlüssel zum Internet. Und das weltweit.

Außer einer neuen Umdrehung der Konzentrationspirale – der Gesamtumsatz beider Unternehmen liegt bei knapp 32 Milliarden Dollar – kontrolliert der neue Konzern auch, was seinen Online-Kunden an Inhalten geboten wird. Und hier stehen natürlich in erster Linie eigene Produkte auf dem Programm, Konkurrenz und Vielfalt haben das Nachsehen.

Mit von der Partie ist dabei ein deutsches Unternehmen, für das die Fusion auch eine kleine Revolution bedeutet: Galten die Bertelsmänner bis vor kurzem eher als graue Eminenzen, die auf sprunghafte Neuerungen meist zögerlich reagierten, hat Bertelsmann-Vorstand Thomas Midellhoff bei den neuen Medien das richtige Gespür bewiesen. Seit 1995 sind AOL und Bertelsmann per Joint Venture bei AOL Europe und AOL Australia in einem Boot, mit 1,2 Millionen Kunden ist AOL Europe zweitgrößter Online-Dienst nach der Deutschen Telekom. Kein anderes der großen deutschen Medienunternehmen ist ähnlich gut positioniert – und auch international erhöht sich für alle Konzerne der Druck, ihr Online-Engagement zu verstärken. Die Fusion der Marktführer ist Startsignal für eine jetzt folgende Runde weiterer Zusammenschlüsse und Allianzen.

Doch auch für Bertelsmann, international jetzt die Nummer fünf unter den Medienkonzernen, ist die Entwicklung nicht ohne Risiko. Als „Bestätigung der eigenen Strategie und unternehmerische Herausforderung“ kommentierte Middelhoff die Fusion. Immerhin ist Time Warner im Bereich Medieninhalte weltweit einer der Hauptkonkurrenten von Bertelsmann und will über AOL neue Vermarktungswege für seine Programme, Filme und Verlage erschließen. In Gütersloh ist man dagegen optimistisch, schließlich seien die Überschneidungen in Sachen Inhalte gar nicht so groß. „Wir haben beispielsweise keine Filmstudios und sind im Buchbereich in einer guten Position“, sagt Bertelsmann-Sprecher Oliver Herrgesell. Gleichauf lägen die beiden Konzerne lediglich im Musikbereich. Bei den Zeitschriften ergänzen sich beide in der Tat, da sie in unterschiedlichen Märkten unterwegs sind: Time Warner führt in den USA, Europas Branchenprimus ist die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr. „Insgesamt gibt es nicht zu große Reibungen“, so Herrgesell.

Uneingeschränkt positiv dürfte sich die Fusion für AOL Europe auswirken, der Online-Dienst kann künftig beispielsweise auf die erfolgreichen Net-Angebote des Time-Warner-Nachrichtensenders CNN zugreifen. Und hier wie bei AOL Australia sitzt Bertelsmann über die Joint-Venture-Vereinbarungen fest im Sattel.

Dennoch schließt der Konzern laut Herrgsell weitere strategische Allianzen mit anderen Online-Anbietern nicht aus: „Alles ist möglich. Das ist das Schöne an der Situation – jedenfalls aus Sicht von Bertelsmann.“

Steffen Grimberg