: Ich allein am Meer
Schöne Kunst kommt durch Scheitern:Daniel Goetschs Romandebüt „Aspartam“
Ob man junge, männliche Melancholiker rührend oder albern findet, hängt davon ab, aus welcher Entfernung man sie betrachtet. Lässt man sie nur einen Tick zu nah heran, entwickeln sie einen Sog, und es ist kein Halten mehr. Das lässt sich nicht nur auf gelebtes Leben, sondern viel echter auf künstliches übertragen – auf zerrupfte Rockrebellen wie Kurt Cobain. Ihre zur Schau getragene Gefährdetheit, ihr wundes Wesen, ihr blutiges Pathos, ihr wehrloses Geworfensein, ihr Weltekel, ihre verbissene Verweigerungshaltung, ihr Elend, ihre Sehnsucht wirken so peinlich ungebrochen – lässt man sich darauf ein, verstricken sie einen in ihr tolles, kitschiges, pubertär romantisches Weltbild, dass es kracht. Und jedesmal fühlt sich das an wie das erste Mal.
Logisch, dass es auch in der Literatur nur so wimmelt von derlei trüb schillernden Gestalten, eine schöner als die andere. Langweilig wäre es, sie aufzulisten, noch einmal die Abteilung Generation X, Lost Generation und so weiter zu bemühen. Auch der Zürcher Daniel Goetsch, Jahrgang 1968, hat seinen Debütroman einer solchen Figur gewidmet. Ein namenloses Ich sitzt irgendwo am Meer fest und wartet immer wieder darauf, dass es Dienstag wird. Die Welt liegt in Watte, die Umwelt schimmert wie durch Milchglas. „Die Wüste wächst“, die Zeit ist aus den Fugen, zäh vergehen die Tage, krampfhaft verbeißt er die Zähne, im Sinn hat er dabei nichts. Was hat ihn bloß so ruiniert?
Nach und nach fügt sich zusammen, was nicht eins werden kann: Als Einzelkind aufgeklärter Eltern, die ihm keinen Fernseher, sondern „sinnvolles Spielzeug“ gaben, so stellt sich heraus, flieht der Erzähler aus der Provinz nach Zürich. Dort trifft er seine Freundin, trennt sich von ihr und kann seitdem nicht aufhören, sie zu lieben. Mit der großen Jugendliebe seines besten Freundes Damien geht er ins Bett, kurz bevor der sich umbringt. Dann verschwinden auch alle anderen Freunde, ziehen sich zurück in die Häuslichkeit oder begehen Selbstmord. Das ist schlimm. Trotzdem bietet es nicht genug Begründung für ein solch gigantisches Scheitern.
Es ist eine „Trauer ohne Fernziel“, die Depression an sich, um die es in diesem Buch geht. Die Geschichte ist alt und wird älter – so geballt erzählt, mit einem solchen Mut zur Metaphernhäufung, zu exzessivem Kitsch und Schnörkeln, aber funkelt sie von Anfang an.
Akzeleration, einen Weg heraus aus dem alltäglichen Valiumpolster bieten nur noch Sex, Nachtleben, vorbeihuschende Kulissen in austauschbaren Städten wie Bukarest, Berlin oder Paris: „Stroboskopie, Phosphoreszenz, Amphetamin“, die „Metro und Neonröhren, Eile“ und „Bauch, Muskel, Ineinander“. Aneinander gereiht wie im hektisch expressionistischen Simultangedicht, grenzen nur diese paar Passagen sich vom dumpfen Einerlei des Erduldens ab: vier Wände, das Sofa, der Fernseher und Drogen. Und gäbe es einen Weg hinaus aus dieser Selbstgeißelung, er wäre versperrt.
Daniel Goetsch hat ein aufreibendes Buch geschrieben, und es spielt gar keine Rolle, dass man es seinen Figuren sogar abnimmt: Sie toben sich nicht bloß mit einer jugendlichen Revolte aus, in einem schicken Intermezzo auf dem Weg ins bürgerliche Dasein. Da hilft auch kein in die Erzählung geschnittener virtueller Therapeut, ein Professor, der als „Einwand“, als „Reibungsfläche“ instrumentalisiert wird, der den Erzähler wiederholt Schwätzer nennt, den sein „pompöses Warum“ nervt. Das ist eine erzähltechnische Brechung, die in sich gebrochen ist. Der Versuch, sich aus der Geschichte zu reißen, misslingt. Daniel Goetschs Roman ist die Geschichte von einem, der kleben geblieben ist: an der Pubertät, am Dagegensein und an der Romantik. Linderung weiß er keine. Susanne MessmerDaniel Goetsch: „Aspartam“. Verlag Ricco Bilger, Zürich 1999, 165 Seiten, 22 DM
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