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Jungfrauenmaschine

Dreyer, Bresson und Rivette ließen ihr das Mysterium. Jetzt will Luc Bessons Spektakel „Johanna von Orléans“ alles über die heilige Jungfrau wissen ■ Von Anke Leweke

Herzerweichend, diese kleinen zarten Wesen, wie sie da mit gigantischen Wummen rumfummeln und mit unglaublicher Zähigkeit um ihr Leben kämpfen. In hautengen Kleidern wirken sie auf der Flucht noch hilfloser, trotz abgewetzter Seidenstrümpfe kommen sie durch. Verletzlich auch ihre nackten Knöchel in Springerstiefeln, doch wehe, die Weibchen schlagen zu. A girl and a gun – diesen konventionellen Gegensatz reizt der französische Regisseur Luc Besson als solchen aus und zelebriert ihn gleichzeitig als Comic bzw. Pop-Ikonografie.

Seine Heldinnen sind allesamt mädchenhafte Kriegerinnen: die zierliche Auftragskillerin Nikita, das Nymphchen Mathilda, das im Waffenarsenal des Kopfgeldjägers Léon groß wird, und Leeloo, zerzaustes fünftes Element mit außerirdischen Kräften. Der pure Überlebenswille lässt sie losprügeln und abdrücken, stets sind diese Amazonen wider Willen von höherer Gewalt gezwungen (sei es der französische Staat in „Nikita“, die Mafia in „Léon der Profi“ oder gleich der drohende Weltuntergang in „Das fünfte Element“). Das macht Bessons tödliche Marien und killende Engel in ihrer Künstlichkeit auf eigentümliche Weise anziehend, verleiht ihren Brutalitäten ein unschuldiges Moment. Seine Heldinnen sind aus der symbolischen Ordnung von Recht und Unrecht Gefallene.

Wie gerufen scheint Jeanne d’Arc für diese weibliche Einschreibung in Männerdomänen, sozusagen die Idealbesetzung für Bessons Kinouniversum: ein einfaches Bauernmädchen aus dem Dorf Domrémy, das seinen König mit dem Schwert zur Krone führen will. Eine ungebildete, unschuldige Kriegerin mit dem richtigen Instinkt für die Strategie der Schlacht. Ein Überlebenswille, der sie schwere Verletzungen überstehen lässt. Ein Glaube, der Berge und Armeen versetzt. Und die geheimnisvolle Aura einer Figur, von der bis heute niemand genau weiß, was von ihr zu halten ist.

A girl and a gun, die Jungfrau und das Schwert. Im Mythos der heiligen Johanna findet Besson seinen bevorzugten Gegensatz in überhöhter Reinform. Johanna wurde des mörderischen Soldatentums schuldig befunden, was für eine Frau als unvorstellbare Sünde galt. Allein das Tragen von Männerkleidung war im 17. Jahrhundert Blasphemie (ebenfalls einer der Hauptanklagepunkte im späteren Prozess). Nach ihren Aussagen wurde ihr von der heiligen Katharina und der heiligen Margareta befohlen, die Rüstung zu tragen und zum Schwert zu greifen, womit wir wieder bei Besson wären und seinen Heldinnen von höherer Gewalt.

Zunächst hat seine „Johanna von Orléans“ alles zu bieten, was Bessons Kino ausmacht: eine Protagonistin in gestylter Ritterrüstung (Bessons ohnehin Outfit-orientiertes Kino läuft zur Höchstform auf: 3.000 Kostüme, 1.700 Ritterhelme, 2.000 Paar Schuhe, angeblich alles nach historischen Quellen recherchiert), Eric Serras sphärische Klänge (stark angeorfft), den Waffenfetischismus (siedendes Öl, Katapulte, die große Anthologie der Lanzen) und natürlich den physischen wie symbolischen Einbruch in ein männliches System (schmächtiger Frauenkörper zwischen schwitzenden Landsern, gewissenhafte Anführerin eines unorganisierten Kriegerrudels). Wäre Besson mit diesen Topoi und Mitteln (nicht zu vergessen die 80 Millionen Dollar Produktions-Peanuts) wie gewohnt in die Vollen gegangen – ob man sein Kino nun mag oder nicht, mal beiseite gelassen –, dann hätte tatsächlich so etwas wie die Verpoppung eines Mythos, die Geburt einer heiligen Comic-Queen entstehen können. Dass das Spaß und Sinn macht, hat Baz Lurman vorgeführt, als er „Romeo und Julia“ in die Gangsta-Szene von L. A. hiphoppte und eine Urkonstellation der tragischen Liebe mit liebevoller Trendyness erzählte.

Aber nur am Hof des Thronanwärters Charles VII. blitzt bei Besson so etwas wie zeitgenössische Clubkultur auf. Da herrscht die lümmelige Atmosphäre eines durchlauchten Chill-outs, mittendrin ein erschöpfter Fürst (John Malkovich), der gerade mal wieder den Anschluss an alles verloren hat. Als Trendsetterin und exaltierte Mutter des Dauphins fungiert Faye Dunaway, die Johanna (Milla Jovovich) zur hippen Person erklärt. Ihre machiavellistische Rechnung: Das Volk wolle eine der Seinen als Anführerin sehen. Und tatsächlich: Johannas ewig gleiche Verkündigungsworte werden vom französischen Heer als rappender Backgroundchor aufgenommen. Wenn sie dann selbst- und siegessicher in die vorderste Schlachtenreihe prescht, hat sie ihre Mannen in den Händen wie Madonna in ihrem Videoclip zu „Like a Virgin“.

Leider bleibt Luc Besson irgendwann stecken. Zwischen einer dampfenden Schlachtenschilderung im Braveheart-Stil und flashigen MTV-Visionen, zwischen blutüberströmter Jungfrauenmaschine und gewissensbissgeplagter Gläubigen, vor allem: zwischen Dechiffrierung und Überschreibung.

Exkurs Bresson: Ein Prozessfilm, nüchtern, mit ungeheurer Konzentration auf einzelne Details: Gesichter, Gesten, die Gefängnistüren, der Gang in den Gerichtsraum. Die Weigerung der Jungfrau, auf die Bibel zu schwören, das ist in Robert Bressons „Der Prozess der Jeanne d’Arc“ (1961) der Kampf zwischen Volk und Herrschenden, Wort und Schrift, Intuition und Institution. Ein Bild, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht: Johannas winzige Schritte zum Scheiterhaufen, ihre nackten Füße, kurz bevor das Feuer angezündet wird.

Zu 80 Prozent habe er sich an die historischen Daten gehalten, so Besson. In seiner Version des Prozesses legt er die Betonung auf Aussagen, die das ungebildete Bauernmädchen ohne ihr Wissen zur Protestantin machten, denn die kirchliche Auslegung Gottes wollte Johanna für sich selbst nicht anerkennen – ganz selbstverständlich stand Gott für sie an erster Stelle. Genau diese Haltung brachte ihr den Vorwurf der Ketzerei ein.

Anonsten aber bestimmt in „Johanna von Orléans“ nicht die Exegese, sondern ein illustratorischer Overkill das Geschehen. Der Film lässt seiner Heldin nicht die eigene Vision, er bebildert sie im Sinne einer naiven Beweisführung (Hallo, Mister Gott, hier spricht Johanna), wagt dabei allerdings nicht den Schritt zum richtig katholischen Kitsch und damit zur Überhöhung (die Auslage jedes Souvenirladens am Petersdom ist abgefahrener als Besson). Noch weniger traut er sich, Johannas „Stimmen“ als die hermeneutische Leerstelle zu belassen, die die ganze Ambivalenz ihres Mythos begründet. Der Visualisierung der Visionen stellt Besson eine banale psychologische Erklärung für Jeannes Hass auf die Engländer voran: Als kleines Mädchen musste Johanna, von ihrer Schwester im Kleiderschrank versteckt, mit ansehen, wie die Ältere von englischen Soldaten vergewaltigt wurde.

Exkurs Dreyer: Ein Film aus lauter kurzen Großaufnahmen, die manchmal nur einzelne Ausschnitte von Gesichtern zeigen. Ein Auge, eine Stirn, irgendeinen Mund aus der Masse. Es scheint, als wolle Carl Theodor Dreyers Stummfilm „La Passion de Jeanne d’Arc“ aus dem Jahr 1928 die historische Kontinuität und damit Geschichte als Ganzheit bewusst zerstören. Mit Anschlussfehlern und irritierenden Schnitten, die Bewegungsabläufe unterbrechen, um die Ereignisse wieder aus der historischen Zeit zu lösen, in eine filmische Gegenwart zu überführen. Jeannes Eingebung: Ihr Gesicht in der unteren Bildecke, dahinter eine weiße Fläche, die alles sagt und alles offen lässt.

In den Prozessakten, die man in der Pariser Nationalbibliothek im Original unter der Manuskriptnummer 8838 nachlesen kann, steht geschrieben, dass Jeanne d’Arc im Verlauf ihrer Mission die Stimmen verließen. Selbst die Zweifel und inneren Zwiegespräche der Alleingelassenen stülpt Besson nach außen. Wie das Hausfrauen-Überich in der Lenor-Reklame tritt plötzlich Dustin Hoffman als Gewissen der Jungfrau auf: „Nicht Gott tötet Menschen, Menschen töten einander.“

Exkurs Rivette: Alles ist in der Haltung, im Schritt, in der Stimme. Sandrine Bonnaires Johanna – ein Mädchen, das plötzlich aufrecht durch den Raum der Geschichte schreitet. Kein Zweifel an der himmlischen Fügung ihrer Mission. Am Ende von „Jeanne, La Pucelle“ (1993) fällt Johanna in sich zusammen. Verlassen von den Stimmen, wird aus der unnahbaren Kämpferin ein kleines Mädchen, das von der Allgewalt der Kirche zermalmt wird. Nie vergisst man, dass man es mit einem Schauspiel zu tun hat. Die uneinnehmbare Stadt Paris ist bei Jacques Rivette eine Steinmauer, bei der Schlacht von Orléans kämpft eine Hand voll Krieger, einmal sieht man Elektrizitätsmasten in der Landschaft.

Warum lässt Luc Besson der Jungfrau nicht das Mysterium, die Unfassbarkeit, die er seinen anderen Heldinnen zubilligt? Warum bemächtigt er sich des Mythos, statt ihn freizulegen? Passion und Pop, Jungfrau und Moderne – dazu braucht es nicht die psycho-soziale Aufarbeitung einer Heiligenbiografie, sondern den Mut zum Glamour einer undurchschaubaren Ikone. Nikita, Mathilda, Leeloo ließ Besson als Getriebene in einer in sich geschlossenen Welt sein. Im Fall von Johanna will er den Schlüssel ins andere Universum. Aber den, das wird auch der allmächtige Besson irgendwann einsehen, hat nur der Herrgott, ob es ihn nun gibt oder nicht.„Johanna von Orléans“. Regie: Luc Besson. Mit Milla Jovovich, John Malkovich, Faye Dunaway u. a. Frankreich 1999, 165 Min.

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