Joschka Fischer lässt seine Lieblinge für Parteivorsitz kandidieren
: Mehr Macht als Kohl

Joschka Fischer lässt kämpfen. Gestern hat sein Wunschteam angekündigt, im Juni für den Parteivorsitz von Bündnis 90/Die Grünen kandidieren zu wollen. Renate Künast und Fritz Kuhn stellen dafür allerdings die Bedingung, dass zuvor die Basis auf dem Parteitag im März die traditionelle Trennung von Amt und Mandat aufhebt.

Wenn die Delegierten diesem Wunsch nachkommen, dann gibt es dafür gute Gründe. Die Strukturen, früher Ausdruck des Misstrauens gegen Machtkonzentration, stammen aus einer Zeit, in der Grüne in den Parlamenten nur eine ferne Zukunftsvision waren. Die Tradition hat sich überlebt. Sie hat dazu geführt, dass Nachwuchskräfte zu Vorsitzenden gewählt wurden, die ihr politisches Talent erst noch beweisen mussten. Die Posten, eigentlich doch die einflussreichsten einer Partei, wurden dadurch deutlich abgewertet.

Die Musik spielt längst woanders. Personalentscheidungen bei Bündnis 90/Die Grünen haben derzeit nichts mit der Vergabe realer Macht zu tun. Joschka Fischer und Jürgen Trittin, zwei Bundestagsabgeordnete mit Ambitionen, waren bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD federführend – nicht etwa die Parteivorsitzende Gunda Röstel. Die Suche nach einer Nachfolgerin für deren scheidenden Kollegen Trittin erinnerte an eine öffentliche Stellenausschreibung.

Sind die Grünen also nun auf dem richtigen Weg? Da Kuhn und Künast ja durchaus profilierte Vertreter der Partei sind? Ein Unbehagen bleibt, und dieses Unbehagen hat mit der Person von Joschka Fischer zu tun. Er will den Kuchen essen und behalten: Zwar sollen ihm die neuen Vorsitzenden genehm sein, aber er selbst möchte keine Verantwortung übernehmen. In anderen Parteien muss das Führungspersonal für seine politischen Ziele wenigstens noch persönlich eintreten. Es ist den Bündnisgrünen vorbehalten, im Bedarfsfalle so zu tun, als sei Joschka Fischer gar nicht die bestimmende Kraft dieser Partei. Das ermöglicht es ihm immer dann, wenn etwas schief läuft, medienwirksame Verzweiflung über die grüne Basis zu artikulieren und für deren Entscheidungen nie in Mithaftung genommen zu werden. Eine kommode Position. Sein neues Wunschteam polstert diesen Sessel aus.

Niemand in der deutschen Öffentlichkeit zweifelt daran, dass Fischer derjenige ist, der den Kurs seiner Partei bestimmt. Vor einigen Monaten hatte er über Mittelsmänner verbreiten lassen, er sei bereit, eine Art „virtueller“ Parteivorsitzender zu werden – vorausgesetzt, der bisherige Parteivorstand tritt zurück und ein neuer wird gewählt, der ihm besser behagt. Das ist in der deutschen Parteiengeschichte bislang einzigartig. Nicht einmal Franz Josef Strauß oder Helmut Kohl auf dem Gipfel ihrer Macht haben je eine so offene Verachtung der Basis gegenüber an Tag gelegt. Fischer will die Fäden ziehen, sich aber nicht persönlich einer Wahl stellen. Das ist undemokratisch. Bettina Gaus