: Abschied von der Logik
Greenpeace wirft der kanadischen Forstindustrie Raubbau an den Urwäldern Britisch Kolumbiens vor und ruft zum Boykott auf. Ein Mitbegründer der Umweltschutzorganisation streitet inzwischen für die Gegenseite: Patrick Moore. Viele heutige Greenpeace-Kampagnen, sagt er, schadeten Mensch und Natur. In Vancouver sprach er mit Michael Miersch
taz : Herr Moore, warum stehen Sie nicht mehr auf der Seite von Greenpeace?
Patrick Moore: Als ich zum ersten Mal den Begriff „nachhaltige Entwicklung“ hörte, war ich sofort begeistert. Jetzt ginge es um konkrete Veränderungen und nicht mehr um symbolische Proteste. Wir haben es seit Mitte der Achtzigerjahre mit einer völlig veränderten Lage zu tun. Fast jeder stimmt den neuen ökologischen Werten zu. Es kommt darauf an, die Ziele der Umweltschutzes in Staat und Wirtschaft zu verankern.
Wie stellten sich Ihre alten Freunde von Greenpeace auf die neue Lage ein?
Nach den Empfehlungen des Brundtland-Reports von 1987 wurden in Kanada „runde Tische“ eingerichtet, an denen die gesellschaftlichen Gruppen über Wege zur „nachhaltigen Entwicklung“ beraten sollten. Zu meiner Überraschung lehnte Greenpeace die Teilnahme ab und zog es vor, eine Kampagne gegen „Pragmatismus und Kompromisse“ zu starten. Das war die Stunde der Ideologen. Jeder, der von nun an von der Linie abwich, wurde zum Verräter gestempelt. Und plötzlich war auch ich einer.
Und wie haben Ihre alten Freunde auf den Pragmatiker Moore reagiert?
Einige haben mich „Ökojudas“ genannt und behauptet, ich hätte mich kaufen lassen.
Hat Sie das getroffen?
Nein. Ich glaube an die Freiheit. Es ist wichtig, seine Meinung ändern zu können, wenn man etwas dazu gelernt hat.Was gefällt Ihnen heute an Greenpeace nicht mehr?
Greenpeace setzt völlig falsche Prioritäten. Das lenkt von den wirklichen Problemen ab und schadet der Umwelt. Brent Spar ist ein typisches Beispiel. Das Versenken dieser Ölplattform im Atlantik hätte keinerlei ökologischen Schaden angerichtet. Auch mit der totalen Ablehnung gentechnisch veränderter Nahrungsmittel erweist man weder der Umwelt noch dem Menschen einen Dienst. Völlig aberwitzig wird es, wenn Greenpeace die Forstwirtschaft als Feind der Wälder hinstellt. Forstwirtschaft ist ökonomisch auf Wälder angewiesen. Es gibt kein umweltfreundlicheres Produkt als Holz. Forstwirtschaft senkt die Kohlendioxidbilanz der Erde. Wälder – auch die forstlich genutzten – sind der Lebensraum für die meisten landlebenden Tier- und Pflanzenarten auf der Welt. Antiforstaffekte werden inzwischen von manchen Industrien genutzt. So werben in den USA Stahlfirmen dafür, Häuser mit Metallrahmen zu bauen. Ihr Slogan: Für ein Holzhaus werden Bäume getötet, für eine Metallhaus Autos recycelt. Der Tropenholzboykott war ein großer Schaden für die Regenwälder. Wenn Wald in Entwicklungsländern nichts mehr wert ist, brennen Farmer ihn ab, um Land für Plantagen zu gewinnen. Sie betrachten ihn als störendes Gestrüpp, das der Landnutzung im Wege steht. Es wäre logischer, zum Boykott von Palmöl, Latex, Kaffee, Tee, Bananen, Rindfleisch usw. aufzurufen. Denn dies sind die Produkte, für deren Anbau die Regenwälder gerodet werden.
Aber Greenpeace unterstützt doch inzwischen die nachhaltige Forstwirtschaft und ruft die Konsumenten auf, Holzprodukte mit Gütesiegel vom Forest Stewardship Council (FSC) zu kaufen, einem internationalen Rat aus Umweltgruppen, Forstunternehmen, Gewerkschaften und Vertretern von Naturvölkern?
Hier in Kanada empfiehlt Greenpeace einerseits das FSC-Holz. Andererseits bekämpft Greenpeace Forstfirmen, die ihre Methoden nach den Richtlinien des FSC ausrichten und sich um das Ökosiegel bewerben.
Ein großer Teil der kanadischen Holzernte wird zu Papier verarbeitet, ist das nicht eine Vergeudung der Wälder?
Ein ziemlich kurzsichtiger Vorschlag einiger Umweltaktivisten lautet, Papier aus Hanf oder anderen Ackerpflanzen herzustellen statt aus Holz. Aber wo soll der ganze Hanf angebaut werden? Die Fläche für den Nahrungsanbau müsste bestehen bleiben. Sollen wir dann die Wälder roden, um Hanf anzubauen? Wo bleibt die Logik bei solchen Argumenten?
Wie kommt es, dass solche vernunftwidrigen Parolen dennoch Gehör finden?
Die Kampagnenprofis arbeiten mit emotionalen Bildern. Fotos frischer Kahlschläge sehen erschütternd aus, wie riesige hässliche Wunden im Wald. Die meisten Menschen finden ein holländisches Tulpenfeld oder ein Weizenfeld schöner, aber die biologische Vielfalt solcher Kulturen tendiert gegen Null. Kahlschlagflächen wachsen jedoch wieder zu artenreichen Wäldern heran. Es ist eine schlimme Entwicklung, dass Greenpeace sich von der Logik und der Wissenschaft verabschiedet hat. Mehr und mehr werden die Kampagnen mit Gefühlsappellen, Falschinformationen und schmutzigen Tricks geführt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es dabei nur noch ums Spendengeld geht.
Aber Emotionen sind doch wichtig, um Menschen aufzurütteln.
Ich finde, man darf emotional wirkende Bilder, Filme oder Reden einsetzen, wenn die Sache wahr und gerecht ist. Wenn die Sache nicht stimmt, ist es egal, welche Taktik oder Rhetorik man anwendet. Es bleibt eine Lüge.
Sie arbeiten heute für die kanadische Forstwirtschaft, die von Greenpeace heftig attackiert wird. Warum?
Der gesellschaftliche Umschwung zu mehr Natur- und Umweltschutz machte sich auch in der Forstindustrie bemerkbar. In den letzten fünf Jahren gab es in Britisch Kolumbien mehr Reformen der Forstgesetzgebung als in den fünfzig Jahren zuvor.
Was hat sich an der Arbeit im Wald dadurch konkret geändert?
Bei uns pachten Holzfirmen die Einschlagrechte vom Staat. Die Forstindustrie hat 800 Millionen Dollar in neue ökologisch verträglichere Erntemethoden investiert. Die Kosten der Holzernte sind dadurch um 75 Prozent gestiegen. Die neuen Methoden unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von der Kahlschlagwirtschaft alten Stils. Auf den Einschlagflächen werden heute Baum- und Buschinseln zurückgelassen, die den Wildtieren als Unterschlupf dienen. Auch reduziert man die Forstwege auf ein Minimum. Waldstreifen an Flussufern bleiben jetzt stehen und vieles andere mehr.
Greenpeace sagt, die Forstwirtschaft an der kanadischen Westküste wird die Grizzlybären ausrotten.
Wer sich die Verbreitung der Grizzlybären in Nordamerika in Vergangenheit und Gegenwart anschaut, sieht: Sie sind aus den Farmgebieten verschwunden. Denn dort wurden sie abgeschossen. Im Gegensatz dazu gibt es in Regionen, in denen schon über hundert Jahre Forstwirtschaft betrieben wird, große, gesunde Bärenpopulationen. Warum blieb Britisch Kolumbien bis heute artenreich und wild? Weil sich Ackerbau und Viehzucht nur auf drei Prozent der Landesfläche lohnen.
Was ist mit den Lachsen? Die Bestände gehen erwiesenermaßen zurück. Greenpeace sagt, das liegt an den Kahlschlagflächen, wo die nackte Erde in die Flüsse gespült wird.
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Rückgang der Lachse mit der Forstwirtschaft in irgendeinem Zusammenhang steht. Lachsbestände in Alaska sind ebenfalls drastisch zurückgegangen – in Gebieten, wo keinerlei Forstwirtschaft stattfindet. Lachspopulationen werden durch andere Faktoren beeinflusst: Natürliche Schwankungen, Überfischung, Überdüngung und das Eindämmen der Flüsse für Wasserkraftwerke. In Britisch Kolumbien haben die Wissenschaftler 9.663 Lachspopulationen ermittelt. 142 davon sind erloschen. Bis auf drei lagen sie alle in Agrargebieten oder in der Nähe von Städten.
Aber wer über Britisch Kolumbien fliegt, sieht schon aus der Luft die riesigen Kahlschläge. Ist das kein Schaden für das Ökosystem der Küstenwälder?
Meine Familie lebt seit drei Generationen von der Holzwirtschaft. Ich bin im Wald aufgewachsen. Ich weiß, wie ein Kahlschlag nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren aussieht. Wenn die alten mit Moosen und Farnen überwachsenen Stümpfe nicht wären, könnte man siebzig Jahre alte Sekundärwälder von unberührten Urwäldern kaum unterscheiden. Warum sollen wir den Wald nicht nutzen? Das Ökosystem bleibt im Ganzen erhalten.
Warum geht man nicht behutsamer vor und schlägt nur einzelne Bäume heraus?
Selektives Fällen verändert das Ökosystem Wald viel stärker, da es manche Bäume gegenüber anderen bevorzugt. Die großflächige Abholzung dagegen kommt den natürlichen Einschnitten am nächsten. Sie wirkt wie Feuer oder Sturm – Phänomene, an die sich die Wälder seit vielen tausend Jahren angepasst haben. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Britisch Kolumbien riesige Waldgebiete, die vollkommen unerschlossen sind. Der schädlichste Aspekt bei der Holzernte in solchen Regionen ist das Anlegen der Forstwege. Würde man selektiv fällen, müsste man viel mehr Wege bauen.
Es bleibt jedoch der ästhetische Schaden. Die unberührten Regenwälder an der Küste Britisch Kolumbiens sind von märchenhafter Schönheit. Außerdem ist dieser spezielle Typus Wald sehr selten auf der Erde. Sollte Kanada nicht dieses Menschheitserbe bewahren?
Unsere Nationalparks wurden in den letzten Jahren vornehmlich dort angelegt, wo die alten, imposanten Baumriesen wachsen. Britisch Kolumbien verdoppelt zur Zeit die Fläche seiner Nationalparks und anderer Großreservate von sechs auf zwölf Prozent der Landesfläche. Zehn Prozent sind bereits erreicht. Man kann natürlich sagen, Totalschutz auf zwölf Prozent der Fläche sei noch nicht genug. Aber wie viele Länder haben so große Flächen unter Schutz gestellt?
Glauben Sie, dass es in zehn Jahren noch eine Umweltbewegung gibt?
Die Umwelt wird eines der großen Themen bleiben. Doch die wissenschaftlich fundierten und lösungsorientierten Naturschutzgruppen werden mehr öffentlichen Aufmerksamkeit erhalten. Bewegungen haben immer eine begrenzte Lebensdauer. Früher bei Greenpeace haben wir immer gesagt: Wir arbeiten daran, überflüssig zu werden. Kurz nachdem ich Greenpeace verlassen hatte, gab es die erste betriebliche Rentenregelung. Da habe ich wohl gerade noch die Kurve gekriegt. Ich hatte mir die Umweltbewegung nicht als bürokratischen Betrieb mit Rentenanspruch vorgestellt.
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