: Mit Methadon wäre das nicht passiert
■ Der goldene Schuss und andere Highlights der großen TV-Abendunterhaltung: Das Trio Bo Doerek musiziert, singt und kalauert wieder im Packhaus-Theater im Schnoor
Bei der „100.000 Mark Show“ lassen sich die Kandidaten für 1.000 Mark eine Schneise durch die Frisur rasieren oder greifen in ein Terrarium mit ekeligen Insekten. Die Steigerung heißt „Big brother“ und ist eine bald in deutscher Fassung auf die Bildschirme kommende Show, bei der sich die Mitspieler wochenlang rund um die Uhr von Kameras beoabachten lassen. Doch Bo Doerek sind diese Neuerungen in der großen TV-Abendunterhaltung egal. Denn für sein neues Programm „Bo Doerek ist Trumpf“ taucht das Hamburger Comedy-Trio tief hinab in die deutsche Fernsehgeschichte. Bo Doerek entführen ihr liieebes Publikum im Packhaus-Theater in eine Zeit, als das Fernsehen noch fast völlig öffentlich-rechtich war. Und genau dieser Beschränkung verdankt die Show ihren Charme und ihre Schwächen.
Die SängerInnen Alexandra Doerk und Hubertus Borck mimen das (nur angeblich) alternde Entertainerpaar Roger und Renate, das auf eine zweite, dritte, aber auf jeden Fall letzte große Chance hinarbeitet. In einer Kreuzung aus „Hitparade“, „Wetten dass ...?“ und „Der große Preis“ präsentiert das Paar unter tätiger Mitwirkung des Pianisten Jakob Vinje die verstorbenen, vergessenen oder in Comebacks stehenden Showstars und Lieblinge der Nation. Doch wie schon in ihrem letzten Programm „Germany 12 points“, das vor zwei Jahren ebenfalls im Packhaus-Theater zu sehen war, setzt Bo Doerek auf den Bruch in der Story: Waren Roger und Renate bei der Parodie auf den Schlager-Grand-Prix hinter Schloss und Riegel der Psychiatrie, haben sie es jetzt immerhin bis zur Generalprobe ihrer Show gebracht. Und da geht schief, was schief gehen kann: Alexandra selig verspätet sich, weil sie Inga und Wolf in Itzehoe auflesen muss, und Bettina Wegner wird mit fünf Mark abgespeist, weil sie im Flur herumlungert wie eine Pennerin.
„Bo Doerek ist Trumpf“ ist eine Mischung aus satirischer Nummernrevue und Songprogramm, die in der Einstudierung mehr Schliff hätte vertragen können. Das Trio serviert Schlager aus einer Palette von „Never promised you a rose garden“ bis zu Backstreet-Boys-Hits und nimmt sie bald auf die Schippe, um sie kurz darauf mit schmalzigem (Un-) Ernst zu interpretieren. Dazwischen versucht es, ein Gagfeuerwerk abzubrennen. Souverän, aber in der Idee alles andere als neu persiflieren Frau Doerk und Herr Borck die Attitüden von Stars und Sternchen, strahlen Blendax, wenn die Kameras an sind, und treten nach, wenn keiner guckt. Die Kalauer („Lou van Bourg und der goldene Schuss“ – „Mit Methadon wäre das nicht passiert“) changieren zwischen oberirdisch (= platt) und unterirdisch (= so schlecht, dass sie wieder witzig sind). Leute mit langjähriger Fernsehabstinenz werden nur Bahnhof verstehen. Alle anderen sollten „Dalli dalli“ (wegen Medi Riehl) oder „Der große Preis“ wenigstens als Wiederholung einmal gesehen haben.
Wie auch immer: Das neue Bo-Doerek-Programm ist eine Form von Comedy, die genau die gleichen Wurzeln hat wie das Schlager-Revival der letzten Jahre. Es zehrt von der Vergangenheit und verdankt seine Gags den Fernsehbildern im Gedächtnis der ersten TV-Generationen circa ab Jahrgang 1970 und älter. Das Trio, das eigentlich zu jung ist, um alternde Diven zu persiflieren, hat zur Jetztzeit nichts zu sagen. Es könnte sein, dass das Publikum aus diesem Grund schneller weg bleibt, als es Bo Doerek lieb sein kann. Noch kommt es, und die meisten im Saal klopfen sich gackernd auf die Schenkel. Christoph Köster
heute und Sonntag sowie vom 26. bis 29. Januar im Packhaus-Theater (Tel.: 32 60 54)
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