: Rot-Grün ist auch nicht mehr lila
Thema Frauen: Die Bundesregierung lobt sich selbst, Nichtregierungsorganisationen jedoch mäkeln. Minijobs, Teilzeitarbeit – Rot-Grün hat wenig gebracht für die Frauen
Berlin (taz) – Auf den ersten Blick steht es um die Sache der Frauen gar nicht so schlecht unter der rot-grünen Bundesregierung. Fünf Frauen bekleiden Ministerämter, die Parteispitze der Grünen besteht aus zwei Frauen, Politikerinnen äußern sich in der abendlichen „Tagesschau“ zu Spendenaffäre, Nato-Einsätzen und Gesundheitspolitik. Der optische Eindruck ist gut – und er trügt. Im Alltag von Arbeit und Familie geht es den Frauen auch unter Rot-Grün in vielen Bereichen nicht besser als vorher.
Zu diesem Ergebnis kommt ein Zusammenschluss von frauen- und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen. Die Organisationen legten gestern einen entsprechenden Bericht vor, der von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung mit finanziert wurde. Der Bericht ist ein Kommentar auf die Antworten der Bundesregierung auf einen Fragebogen der Vereinten Nationen (UN). Darin hatte Rot-Grün die Lage der Frauen in Deutschland eher positiv eingeschätzt.
In der Wirtschaft beispielsweise ließe sich diese positive Entwicklung nicht feststellen, fasste dazu Annekathrin Linck von der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen. Bei ostdeutschen Frauen, Migrantinnen und auch Jugendlichen seien die Erwerbsquoten gesunken. Frühere Gegenstrategien wie Arbeitszeitverkürzung würden kaum noch verfolgt. In der Kanzlerrunde des Bündnis für Arbeit würden Frauen und ihre Belange außen vor gelassen. „Die Reduzierung von Wochenarbeitszeit ist kein Thema beim Bündnis für Arbeit mehr“, bedauert Linck.
Im Bündnis für Arbeit will IG-Metall-Chef Klaus Zwickel vielmehr eine „Rente mit 60“ für langjährig Versicherte durchsetzen. Frauen kämen jedoch kaum in den Genuss dieser Rente, weil sie oft die geforderten 35 Mindestversicherungsjahre nicht zusammen bekommen.
Nach neuen Plänen von Arbeitsminister Walter Riester (SPD) allerdings sollen Mütter, die Teilzeit arbeiten, künftig einen höheren Rentenanspruch erhalten.
Sehr kritisch sieht der Bericht der Nichtregierungsorganisationen auch die Neuregelung der ehemals versicherungsfreien 630-Mark-Jobs. Die Neuregelung dieser Minijobs und ihr Einbezug in die Sozialversicherungen habe weitere Benachteiligungen für Frauen gebracht.
Es sei ein „Sozialrecht zweiter Klasse“ geschaffen worden. Frauen könnten eigene Rentenansprüche nur erwerben, wenn sie zusätzliche Beiträge aus ihrem Nettolohn bezahlten. Alleinerziehende würden zudem gegenüber verheirateten Frauen benachteiligt. Denn nach dem neuen Gesetz dürfen Ehefrauen den Verdienst aus dem 630-Mark-Job steuerfrei behalten.
In dem Bericht weisen die AutorInnen auch darauf hin, dass das ständige Hochjubeln von Existenzgründungen problematisch sei. Eine Politik, die mehr Existenzgründungen propagiere, „ohne zu erkennen, dass damit vor allem Risiken vergrößert und soziale Sicherheiten verringert werden“, ginge „an der Lebensrealität und den Wünschen berufstätiger Frauen vorbei“, heißt es in dem Papier. Die Arbeitszeiten von Unternehmern sind sehr viel länger als die von abhängig Beschäftigten. Frauen gründen oft Ein-Frau-Betriebe und haben nur ein sehr geringes Einkommen.
In dem Papier bemängeln die Nichtregierungsorganisationen außerdem, dass sich die aufenthaltsrechtliche Situation von Frauen, die wegen der Menschenrechtssituation in ihrer Heimat in der Bundesrepublik Asyl suchen, noch nicht gebessert habe.
Die Bundesregierung hatte sich zur Situation der Frauen geäußert, weil die UN die Umsetzung der Beschlüsse der Weltfrauenkonferenz in Peking 1994 verfolgen will. Nächste Woche soll die Umsetzung der Peking-Beschlüsse auf europäischer Ebene auf einer Regionalkonferenz in Genf debattiert werden. Barbara Dribbusch
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