■ Aufschlag
: Feldjäger für Kiefer

Das Geschrei um den Daviscup-Muffel zeigt: Finsternis im deutschen Tennis

Wann Andre Agassi zum letzten Mal Daviscup gespielt hat, daran kann sich schon längst keiner mehr erinnern. Pete Sampras und andere Tenniscracks der Spitzenklasse haben sich für lange Zeiträume aus diesem Wettbewerb ausgeklinkt, und auch Boris Becker und Michael Stich standen keineswegs immer zur Verfügung. Und wenn, dann haben sie es sich am Ende per Kooperationsvertrag mit dem Deutschen Tennis-Bund (DTB) teuer bezahlen lassen. Weshalb also nun dieses Geschrei um Nicolas Kiefer, der von fünf Matchs im Daviscup erst eines gewonnen hat, aber ohne viel Federlesens als Vaterlandsverräter gebrandmarkt wird, weil er dem DTB-Team in diesem Jahr nicht zur Verfügung stehen will.

Daviscup, das war eigentlich immer ein Wettbewerb für die Carl-Uwe Steebs dieser Welt. Spieler, die von großen Turniersiegen und vorderen Weltrangplätzen nur träumen können, oder die, wie der US-Amerikaner Jim Courier, mit den Jahren aus der absoluten Spitze gerutscht sind. Im Daviscup können sie Helden für einen Tag werden, ein bisschen das Landesfähnchen schwenken und ungewohnte Ovationen genießen, bevor sie zügig wieder in die Versenkung rauschen. Für die Topstars im extrem individualistischen Tenniszirkus bietet der anachronistisch anmutende Nationalismuszauber, der bei Zuschauern und Spielern oft die unappetitlichsten Seiten zum Vorschein bringt, hin und wieder die Gelegenheit, Teamgeister zu beschwören und ein bisschen Krieg zu spielen. Wer ernsthaft vorne mitmischen will, kann sich Daviscup heutzutage aber kaum noch leisten, weshalb Sampras erst wieder ins US-Team rückte, als ihm die Position des Weltranglistenersten nicht mehr so wichtig war.

Erst recht nach der Neuordnung der Tennis-Tour ist der Weg zur ATP-Weltmeisterschaft so beschwerlich geworden, dass die Argumentation von Nicolas Kiefer und seinem Trainer Bob Brett, der Terminplan sei zu eng, kaum von der Hand zu weisen ist. Die Besten müssen neben den Grand Slams etliche Pflichtturniere bestreiten und Kiefer will zudem, im Gegensatz etwa zu Sampras, überaus gern bei den Olympischen Spielen in Sydney „für Deutschland“ antreten. „Ich spiele doch das ganze Jahr für Deutschland“, sagt der 22-Jährige treuherzig, in Wahrheit spielt er natürlich das ganze Jahr für sich. Für Nationalismus ist nur noch wenig Platz im modernen Profisport, dass es sich bei den Aktiven um „kleine Unternehmer-Persönlichkeiten“ handelt, hat der neue DTB-Präsident Georg von Waldenfels immerhin gut erkannt.

Umso bedenklicher, dass der DTB mit jedem Führungswechsel weiter in finstere Vergangenheiten zurückzufallen scheint. Der pragmatische Kurs des früheren Tennis-Bosses Claus Stauder mit seinen umstrittenen Kooperationsverträgen ist einem dumpfen Konservatismus gewichen, der Sätze gebiert wie: „Wer im Jahr 2000 für Deutschland nicht spielen will, muss auch die Konsequenzen tragen“ (von Waldenfels). Dem ehemaligen CSU-Finanzminister in Bayern, der seit Dezember dem deutschen Tennis vorsteht, wäre es offenbar am liebsten, wenn man Tennisspieler zum Daviscup einziehen könnte wie Wehrpflichtige, wenn nötig unter Einsatz einer Feldjägertruppe.

„Wer Nein sagt zum Daviscup, muss auch Nein sagen zu Olympia“, behauptet Georg von Waldenfels völlig logikfrei, weshalb die DTB-Führung Kiefer nicht für Olympia nominieren will. Eine kurzsichtige und abwegige Trotzreaktion, die nach anfänglichem Widerwillen inzwischen offenbar auch bei Walther Tröger, dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), Anklang findet. Bestens ins traurige Bild passt, dass natürlich auch Peter Haas, Vater des daviscupwilligen Tennisprofis Thomas, seinen Senf dazugeben muss und die Hirnrissigkeit mit seiner Forderung nach einer Sperre für Kiefer bei Turnieren in Deutschland noch steigert.

Der DTB scheint entschlossen, seinen wohl auf etliche Jahre hinaus besten Spieler dauerhaft zu vergraulen, obwohl Kiefer versprochen hat, im nächsten Jahr dem nationalen Wohlergehen wieder uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen – auch im Daviscup. „Absoluten Blödsinn“ nennt das Vorgehen des Verbandes Ex-Sportwart Dirk Hordorff, der dem Machtkampf mit Ex-Teamchef Boris Becker ebenso zum Opfer fiel wie dieser selbst. Fast scheint es paradoxerweise, als habe mit den beiden die letzte Spur gesunden Menschenverstandes den DTB verlassen.

Matti Lieske