: Wahlkampf in Zeiten der Spendenkatastrophe
■ Beim Wahlkampfauftakt der schleswig-holsteinischen CDU fällt der Name Helmut Kohl kein einziges Mal, und Wolfgang Schäubles Angriffe auf die rot-grüne Koalition wollen einfach nicht richtig zünden
Die Journalisten sind sauer. „Für Ordner haben wohl die schwarzen Kassen nicht mehr gereicht“, mault einer. Es sind viel zu viele Leute und viel zu wenig Stühle im Kieler Norwegen-Terminal. Der Saal ist zu klein, und die CDU-Basis beginnt die raren Presseplätze zu besetzen. Die CDU-Basis personifiziert sich inKarl-Heinz Klaus. Er ist 79, Kieler, Parteimitglied seit Ewigkeiten und findet das „ganz schlimm, was in unserer Partei zurzeit passiert“. Den Biedenkopf „würde ich jetzt gern an der Spitze sehen“, diktiert er den Medienleuten, die um ihn herumhocken.
Es ist der Wahlkampfauftakt der schleswig-holsteinischen Union. Wahlkampf in Zeiten des Katzenjammers. Die CDU-Führung hat auch einen Namen: Wolfgang Schäuble. Der sitzt vorn auf dem Podium neben Spitzenkandidat Volker Rühe und soll dem Parteivolk erklären, wie es weitergeht. Mit der CDU und mit ihm. Die Leute erwarten Antworten – nach dem, was sie aus Hessen zu hören bekamen, nach dem, was der Vorsitzende selbst in der vergangenen Woche eingestanden hat.
Doch erst einmal gibt es Aufmunterndes vom CDU-Ehrenvorsitzenden. Der sagt, Wolfgang Schäuble sei ein Ausbund „menschlicher Verlässlichkeit“. Es gebe von den Medien „den systematischen Versuch, Unwahrheiten zu verbreiten“, um dem CDU-Chef zu schaden. Die Vorwürfe seien „heiße schlechte Luft ohne jede Substanz“. Überhaupt stelle er eine „Vielfalt von Diffamierungen gegen die Union“ fest, und die Leute jubeln ihrem CDU-Ehrenvorsitzenden zu. Es ist allerdings nicht Helmut Kohl, der da spricht, sondern Gerhard Stoltenberg, der Ehrenvorsitzende der schleswig-holsteinischen Union.
Volker Rühe hat die klare Vorgabe bekommen, gar nichts zur Spendenaffäre zu sagen. Ganz nach dem Motto, das Junge-Union-Aktivisten während der Veranstaltung auf Schildern herumtragen: Es geht um Schleswig-Holstein. Rühe verkauft sich als Landespolitiker, der sich von den Bundesthemen vollkommen abkoppelt. Dazu werden Dias gezeigt: Rühe beim Boßeln, Rühe auf dem Fischkutter, Rühe beim Blumenfest. Der Spitzenkandidat redet übers Eider-Sperrwerk, über die Autos am Strand von St. Peter-Ording und den Bau der A 20. Am liebsten redet er über „rot-grünes Versagen im Land“ und dass „es alles über die Sozialdemokraten sagt, wenn sie auf Wahlhelfer wie Günter Grass setzen, der gegen die deutsche Einheit war“.
Erst nachher in Fernsehinterviews räumt er ein, dass „gerade unsere Parteimitglieder besonders auf Recht und Gesetz achten und jeden kleinen Ladendieb am liebsten hart bestrafen würden – für die ist es natürlich ein besonders harter Schlag, wenn in der Partei gegen Gesetze verstoßen wird“. Der Bundesvorsitzende, der Rühe aufs Podium folgt, wirkt angeschlagen. Wolfgang Schäuble redet fahrig, unkonzentriert, die Stimme schwappt ihm über, wenn er angriffslustig wirken will. Zwischenrufe pariert er mit Patzigkeit. Als er ausführt: „Wir müssen uns alle überlegen, welche Konsequenzen wir daraus zu ziehen haben“, ruft einer: „Rücktritt“. Schäuble wird unwirsch: „Personaldebatten bringen uns überhaupt nicht weiter.“
„Die Segelflieger sagen: Aufwärts geht es immer bei Gegenwind“, sagt er. Keiner lacht. Das Parteivolk ist äußerst gutwillig, applaudiert, wo es klatschen soll, aber alles lässt es auch nicht durchgehen. Schäubles Satz: „Alle müssen jetzt die Wahrheit auf den Tisch packen, ich habe das von der ersten Minute an getan“, quittieren auch die Geduldigen unter den Zuhörern mit Pfiffen und Gelächter. Schäuble sieht sich von „haltlosen Verdächtigungen“ umstellt und klagt: „Gerade die, die aufklären wollen, werden jetzt diskreditiert.“ Er meint sich damit, er meint den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Der Name Helmut Kohl fällt an diesem Abend kein einziges Mal.
Einmal redet Schäuble von „Lug und Betrug“, doch damit meint er die Steuerpolitik der Bundesregierung. Auf die drischt der CDU-Chef ausführlich ein, nach zehn Minuten hat er die Spendenaffäre als Thema abgehakt und widmet sich nur noch den Attacken auf Rot-Grün. Jedes Politikfeld wird durchgegangen, doch die Angriffe zünden nicht, der Beifall ist dünn, die gut 1.500 Zuhörer ermüden, viele von ihnen gehen noch während Schäubles Rede enttäuscht nach Hause. Auf dem Weg zum Ausgang gehen sie am Stand der Jungen Union vorbei, die ihnen noch eine Medikamentenpackung mit der Aufschrift „CDUmin – das Mittel gegen Espedemie“ in die Hand drückt: „CDUmin – anzuwenden bei Unverträglichkeit mit rot-grüner Regierungspolitik, gegen langjährige Simonitis und Rühelosigkeit“. Bei parteiinternen Depressionen und Verunsicherung verspricht das Mittel keine Linderung.
Peter Ahrens, Kiel
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