: Lottosechser mit Kleingewinn
„Es ist zu wenig, aber es ist irgendwas“: Der ehemalige Bundesliga-Profi Stefan Malz bewährtsich in Englands Premier League bei Arsenal als Aushilfskraft ■ Aus London Ronald Reng
Im Haushalt der Familie Malz in Saint Albans, nördlich von London, sind die Rollen klar verteilt: Bundesliga-Fußball im Satellitenfernsehen schauen – „das macht nur meine Frau“, sagt Stefan Malz, 27, der vor acht Monaten noch selber Bundesliga-Fußballer war, beim TSV 1860 München. „Die ist sehr fußballinteressiert, die kannst du fragen, wenn du die Aufstellung von 1860 wissen willst. Ich bin da kein Experte mehr.“
Er sitzt auf einer blauen Couch im Speisesaal des Tabellendritten der englischen Meisterschaft, Arsenal London. Es ist ein großer, heller Raum, dezent und vornehm eingerichtet; feste weiße Tischdecken über runden Esstischen. Durch die Fenster blickt man auf Fußballplätze bis zum Horizont, eine Etage tiefer befinden sich Schwimmbad, Sauna, Kraftraum. Es riecht nach Erfolg. Die Farbe an den Wänden, der Teppich: alles ist noch neu auf dem Trainingskomplex in London Colney. Wer sich daneben das Löwenstüberl vorstellt, die rustikale Gastwirtschaft auf dem Gelände von 1860, bekommt ungefähr eine Idee, wie weit die Bundesliga weg ist für Malz. Er grinst, als er an das Stüberl denkt, wo Sechzig-Trainer Werner Lorant routinemäßig seinen Espresso mit Zucker zuschüttet: „Hat auch seinen Reiz“, sagt Malz, „aber das hier ist eine andere Welt.“
Dass er da hineingeriet, war eine der verblüffendsten Geschehnisse im vergangenen Fußballsommer. Malz, der sich in seinen zwei Jahren bei 1860 genauso oft auf der Ersatzbank wie auf dem Spielfeld fand, für zwei Millionen Mark Ablöse zu einem der besten Teams in Europa? Es musste ein Witz sein – dachte Malz zuerst selbst: „Es war wie ein Lottogewinn. Wenn du sechs Richtige hast, musst du auch zehnmal auf deinen Spielzettel schauen, bis du es glaubst.“
Niemand könnte es Malz verdenken, hätte er sich schon bald gefühlt wie ein Lottogewinner, der entdeckt, dass er seinen Schein nicht abgegeben hat: Zum Einsatz kam er bei Arsenal zunächst nicht. Doch Malz ließ sich nicht abbringen von seiner Meinung, dass „der Transfer das Beste ist, was mir je passierte“.
Und nun sammelt er Minuten: 63 vor zehn Tagen im Pokalspiel gegen Leicester City (0:0), 59 am vergangenen Samstag in der Meisterschaft gegen Sunderland (4:1), zuvor drei Einsätze und ein Tor in Ligapokal und Champions League. „Es ist zu wenig, aber es ist irgendwas“, sagt Malz. Als Aushilfskraft im 36-Mann-Team hat ihn Trainer Arsène Wenger eingeplant, und bei seinen jüngsten Auftritten bestätigte der Deutsche diese Rolle: Er spielte im linken Mittelfeld solide; ohne besonders aufzufallen. Das Kompliment, gegen Leicester sei er gut gewesen, weist er fast schon entrüstet zurück: „Ich war auf dem Platz, aber nicht richtig im Spiel.“
Viel Palaver zu machen ist seine Sache nicht, weshalb es eines dieser Interviews ist, in denen der Fragesteller beinahe mehr redet als der Interviewte – und trotzdem wird schnell Malz' wohltuend realistische Sichtweise deutlich. „Ich habe nicht die Fähigkeiten eines Dennis Bergkamp“ – Arsenals holländischer Ausnahmespieler) –, „und ich werde sie auch nie haben. Aber dass ich mit den besten Spielern der Welt trainieren darf – so viel Spaß hat mir Fußball noch nie gemacht.“ Er lacht: „Seit ich hier bin, merke ich, dass ich zuvor gar keine Ahnung hatte, was richtiger Fußball ist.“
Er sei ein besserer Spieler geworden, behauptet er. Von Natur aus nicht der schnellste, habe sich etwa sein Antritt verbessert, weil „selbst eine kleine Bratwurst wie ich“ bei Arsenal individuelles Krafttraining bekommt. Welche Übungen er genau macht, darf man ihn allerdings nicht fragen, „ich kenne mich da nicht aus, ich tue, was der Trainer sagt“. Er wirkt sympathisch in seiner Art, sich nicht zu viele Gedanken über sich und sein Spiel zu machen. Als er im Ligacup gegen Preston sein erstes Tor für Arsenal schoss, hob er weder das Trikot noch Zeitungsausschnitte auf („Malz zur Rettung“, schrieb der Evening Standard).
Stefan Malz lebt für den Augenblick, Vergangenheit interessiert ihn nicht. Kein Wort verliert er über seine nicht immer einfache Zeit in München. Keinen einzigen Tag seit seinem Wechsel war er in Deutschland. Er redet schon wie ein Engländer. „At the end of the day“, so beginnen englische Fußballer jeden dritten Satz. Stefan Malz sagt: „Am Ende des Tages kann ich hier zufrieden sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen