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Saatgut-Offensive der Biobauern

Auf der Grünen Woche fordern Naturschützer und Slow Foodler mehr Vielfalt beim Anbau. Sie befürchten, dass viele Kulturpflanzen sonst aussterben ■ Aus Berlin Manfred Kriener

Slow-Food-Präsident Petrini: „Man kann heute kein echter Feinschmecker mehr sein, wenn man nicht gleichzeitig auch ein Naturschützer ist.“

Es war ein historischer Augenblick. Zum ersten Mal in Deutschland präsentierten sich am Sonntag in Berlin Naturschützer, Ökobauern und die Genießervereinigung von Slow Food International auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Ihr Anliegen: Das Aussterben unserer Nutzpflanzen soll gestoppt werden, die Vielfalt durch neue Anstrengungen in der ökologischen Pflanzenzüchtung erhalten bleiben. Im Gentechnik-Zeitalter will der Ökolandbau eigene Saatgutressourcen entwickeln, um nicht bald auf manipulierte Sorten angewiesen zu sein.

Hardy Vogtmann, neuer Präsident des Bundesamtes für Naturschutz, bezeichnete das als „notwendige Überlebensstrategie“: „Wir befinden uns mit der Gentechnik in einem Experiment, von dem keiner weiß, wie es ausgeht.“ Wenn es schief laufe, brauche die Landwirtschaft dringend Alternativen. Die Ökobauern brauchen sie schon heute. Sie haben sich verpflichtet, kein Gentech-Saatgut auf den Acker zu bringen.

Nach Angaben des Naturschutzbundes (Nabu) sind im vergangenen Jahrhundert 75 Prozent aller Kulturpflanzen weltweit ausgestorben. In den USA etwa wüchsen heute nur noch fünf Prozent der alten Kohlsorten. „Wir sind dabei, die Ergebnisse aus 10.000 Jahren Pflanzenzüchtung unserer Vorfahren zu verlieren“, sagte Cornelia Wiethaler, Nabu-Projektleiterin für Kulturpflanzen-Vielfalt. Unsere Großeltern hätten sehr viel mehr Geschmäcker und Pflanzen zur Auswahl gehabt.

Hardy Vogtmann stellte Zuchtziele und Leitlinien einer ökologisch orientierten Züchtung vor. Die Resistenz gegenüber Pilz- und Schädlingsbefall sei dabei nicht das vorrangige Ziel. Stattdessen sollten robuste Pflanzen gezogen und erhalten werden, die „toleranter“ und „elastischer“ auf Schädlingsdruck reagieren. Der Ertrag müsse auch bei einem Befall noch gesichert sein. Zudem sei es eine gefährliche Entwicklung, dass sich einzelne Sorten auf der ganzen Welt ausbreiten (die Bintje-Kartoffel hat zum Beispiel weltweit einen Anteil von 45 Prozent). Vogtmanns Zuchtziele: Vielfalt, Pflanzengesundheit, hohe ernährungsphysiologische Qualität, regionale Anpassung.

Der Ökolandbau will verstärkt alte Pflanzensorten auf den Acker setzen, die als Samenmuster derzeit in den Reagenzgläsern der Genbanken ruhen. Manon Haccius von der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau: „Die Pflanzen müssen wieder den örtlichen Klima- und Bodenreizen ausgesetzt werden.“ Diese Kultivierung selten gewordener Sorten dürfe für die Landwirte aber nicht zum Verlustgeschäft werden. Haccius forderte die Verbraucher deshalb auf, beim Einkauf die Vielfalt zu suchen. Angesprochen auf die bescheidenen Anteile des Ökolandbaus mit nur zwei Prozent Anteil in der Bundesrepublik, verwies Haccius auf die veränderte Bewusstseinlage: Der Ökolandbau habe es geschafft, die Entwicklung der industriellen Landwirtschaft in Frage zu stellen. Dies werde auch in der Pflanzenzüchtung gelingen, wo die Ökozüchter „Nischenschutz genießen“.

Pointiert kritisierte Slow Food Präsident Carlo Petrini die „desaströse Situation der Gleichmacherei“ mit dem drohenden Verlust vieler alten Pflanzensorten, Käsesorten und Haustierrassen. Wundervolle Käse, die schon Michelangelo gegessen habe, gingen verloren, weil die holländische Kuh – „eine Milchmaschine auf vier Beinen“ – auch in Italien überall die alten Kuhrassen verdränge. Petrini will die Koalition von Genuss und Ökologie. „Man kann heute kein Feinschmecker mehr sein, wenn man nicht gleichzeitig Naturschützer ist.“ Andersherum: Die Biobewegung habe lange den Geschmack vernachlässigt und sich zu ideologisch präsentiert. Bioprodukte machten nur Sinn, wenn sie schmecken. Für Petrini verschwinden mit den alten Pflanzensorten ganze Küchentraditionen: „Wir verlieren jeden Tag ein Stück Kultur.“

Slow Food will mit seinem Projekt „Arche 2000“ vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Haustierrassen auf ein kulinarisches Rettungsschiff mitnehmen. Das Schiff soll auch in Deutschland ablegen und etwa alten Apfelsorten, dem Weinbergpfirsich von der Mosel, dem Angler-Sattschwein und selten gewordenen Moorschnucken zu neuem Markterfolg verhelfen. „Die Sintflut ist schon da“, heißt es in einer Slow-Food-Erklärung, jetzt komme es darauf an, ob die Rettung funktioniert.

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