Kreml kungelt mit den Kommunisten

Die Wiederwahl des Kommunisten Gennadi Selesnjow zum Duma-Chef war ein abgekartetes Spiel. Demokraten sind entsetzt

Moskau (taz) – Nach dem Motto „aus dem Osten nichts Neues“ beging die Duma den Auftakt ihrer dritten Legislaturperiode. Vorsitzender des russischen Parlaments bleibt der Kommunist Gennadi Selesnjow, für den 285 der 450 Parlamentarier stimmten.

Wenig Besserung verspricht die bislang als zankfreudig verschrieene Volksvertretung auch in ihren Umgangsformen: Ein Drittel der Abgeordneten verließ aus Protest den Saal, nachdem letzte Zweifel beseitigt waren: Die Kreml-Partei „Einheit – der Bär“, des amtierenden Präsidenten Putin hatte den Kuhhandel um den Dumavorsitz mit Kommunisten und Lobbyisten der Unterwelt, vertreten durch den Chauvinisten Wladimir Schirinowski, längst eingefädelt.

Ein Meisterwerk byzantinischer Intrige kam zum Vorschein. Boris Nemzow, Abgeordneter der wirtschaftsliberalen Partei „Union der Rechtskräfte“ (UdR) war fassungslos: „Was ich heute erlebt habe, bewegt sich jenseits meiner Vorstellungskraft. Der Kreml zimmert einen Deal mit den Kommunisten!“

Nemzow sprach aus, was Vertreter aller halbwegs demokratischen und zentristischen Fraktionen empfanden. Neben der demokratischen Partei „Jabloko“, dem zentristischen Wahlbündnis „Vaterland ganz Russland“ des Ex-Premiers Jewgeni Primakow, verzichtete auch die Fraktion „Regionen Russlands“ darauf, ihren Kandidaten noch zur Wahl zu stellen. Ihr Fraktionsvorsitzender Oleg Morosow nannte die Vorgänge eine „Beleidigung des Parlaments und des Landes, das im Ergebnis eine hilflose und unfähige Duma erhalten hat“. Denn Kreml und Kommunisten verteilten auch die Leitung aller Ausschüsse, bis auf einen, unter sich. Neun Komitees übernimmt die kommunistische Partei, sieben die „Einheit“.

Wladimir Putin hatte die Entscheidung in einer Rede mit pragmatischen Überlegungen gerechtfertigt. „Um normale Arbeit leisten zu können, brauchen wir Unterstützung auf breitester Basis in der Duma.“ Die liberalen Kräfte der UdR sehen das anders. Zum ersten Mal seit Ende der UdSSR hätte der Kreml die Chance gehabt, mit einer Duma zusammenzuarbeiten, deren Mehrheit sich aus reformorientierten und zentristischen Kräften rekrutiert. Obwohl noch stärkste Fraktion, hatten die Kommunisten ihre komfortable Position eingebüßt, die es ihnen ermöglichte, eine konstruktive Gesetzespolitik zu boykottieren.

Was will Wladimir Putin? Nun möchte man mehr wissen von dem Mann, der seine Popularität bisher einzig dem Kaukasuskrieg verdankte. Viele Bürger wählten die Putin-Partei „Einheit“ aus einem Motiv: die Dominanz der Kommunisten zu brechen und Jelzins Vermächtnis zu retten. Sollte der designierte Jelzin-Erbe eine Allianz mit der KP eingehen? In seiner Rede präsentierte sich Putin als ein Advokat liberaler Politik. Eine Rückkehr zu autoritären Herrschaftsformen sei in Russland undenkbar. Oder nur eine Frage der Definition? Klaus-Helge Donath