: Vertreibung aus dem Paradies
Energiewirtschaft erlebt den größten Schock seit der Ölkrise. Wirtschaftsminister und Stromversorger uneins, wer die Verluste der ostdeutschen Veag trägt ■ Von Hannes Koch
Berlin (taz) – Manager eines deutschen Energiekonzerns zu sein, war vor Jahren noch ein relativ lauer Job. Man hatte seine festen Monopolgebiete und wusste nicht recht, wohin mit den Gewinnen. Zumindest Ersteres hat sich geändert: Seit PrivatverbraucherInnen und Unternehmen ihren Stromlieferanten frei wählen können, steckt die Branche in heftigen Turbulenzen. „Wir leben im Epizentrum der Umgestaltung“, sagt Gerhard Goll, Vorstandsvorsitzender der Energie Baden-Württemberg (EnBW).
Während der Jahrestagung „Energiewirtschaft 2000“, organisiert vom Handelsblatt, diskutiert die Branche in diesen Tagen in Berlin über die Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die damit zusammenhängenden Konsequenzen. Die noch unter der konservativen Bundesregierung in Gang gesetzte Liberalisierung des Energiemarktes schlägt seit etwa einem Jahr voll auf die Unternehmen durch. Das führt offenbar auch dazu, dass die Halbwertszeit von Verabredungen zwischen Politik und Wirtschaft erheblich sinkt. So erläuterte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) vor mehreren hundert Energiemanagern, dass der erst zum Jahresende 1999 geschlossene Kompromis über die Zukunft des ostdeutschen Energieversorgers Veag nun wieder geplatzt sei. „Das Angebot der Industrie ist vom Tisch“, so Müller. Ein Sprecher von RWE Energie sagte, dass „Nachjustizierungen notwendig“ seien.
Im vergangenen Oktober hatte der Wirtschaftsminister die Konzerne gedrängt, in den kommenden Jahren jeweils dreistellige Verluste der Veag zu tragen. Die großen Energieversorger aus dem Westen, unter ihnen die Veba-Tochter PreussenElektra, die Viag-Tochter Bayernwerk, RWE und EnBW, stimmten zähneknirschend zu. Auch ihnen war klar, dass die Veag mit den Verbraucherpreisen heruntergehen muss und ihren teuren Braunkohlestrom nicht mehr kostendeckend vermarkten kann. Die Schutzklausel des Energiewirtschaftsgesetzes für Braunkohle, die den Wettbewerb von Ostdeutschland fernhält, sei nicht mehr zeitgemäß, so die Analyse des Herbstes.
Nun jedoch hat sich die Lage der Energieversorger geändert. Durch die bevorstehenden Fusionen von Veba und Viag, sowie RWE und VEW bilden sich zwei entscheidende Konzerne heraus, denen das Bundeskartellamt nicht auch noch den beherrschenden Einfluss über die Veag zubilligen will. Möglicherweise muss also eines der Westunternehmen seinen Besitz an der Veag verkaufen. Ein weiterer Grund für die abnehmende Bereitschaft, die Verluste der Veag zu tragen, sind die reduzierten Gewinne der Energieversorger – ein Ergebnis der Liberalisierung.
Trotzdem hält Müller an seiner Position fest, die Verluste, die sich bis auf zehn Milliarden Mark summieren können, seien Sache der Anteilseigner. Finanzielle Beiträge der Bundes schließt Müller zunächst aus – wobei er durchblicken lässt, dass man darüber später vielleicht reden müsse. Um die Unternehmen zum Einlenken zu bewegen, droht ihnen der Wirtschaftsminister einstweilen, er habe nichts dagegen, die Veag zu verstaatlichen und hernach an ausländische Investoren zu verkaufen.
Das allgemeine Bild der Energiebranche wird bestimmt von neuen Verkaufsstrategien, Fusionen und einer zunehmenden Internationalisierung. RWE etwa sieht sein Heil darin, die im Inland sinkenden Gewinnmargen durch eine stärkere Orientierung nach Europa auszugleichen. „Wir wollen einer der drei größten europäischen Energieversorger werden“, sagt Klaus Bussfeld, Vorstandschef von RWE Energie. Die Fusion mit VEW sei demzufolge nur „der erste Schritt“ auf den transnationalen Markt. Der Essener Konzern hat sich freilich einiges vorgenommen: Heute hält er ungefähr 2 Prozent vom europäischen Umsatz der Branche, in Zukunft sollen es 10 bis 15 Prozent sein.
Die Vertreibung der deutschen Konzerne aus dem Paradies der geschützten Monopole bezeichnete ein Insider als „größten Kulturschock seit der Ölkrise“. Hinter den Unternehmen liegt das begrenzte Geschäft der deutschen Regionen, vor ihnen der Weltmarkt.
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