: Warum schweigt Helmut Kohl so beharrlich?
■ Je mehr über die Spendenpraxis der CDU bekannt wird, desto schwerer wird es, Krimi-Klischees zu vermeiden. Fünf Erklärungsversuche für den permanenten Verfassungsbruch des Ex-Kanzlers und Ex-CDU-Ehrenvorsitzenden
Alles hat Helmut Kohl aufs Spiel gesetzt, um die Urheber seiner heimlich empfangenen Spenden nicht preisgeben zu müssen: den eigenen Ruhm und Ehrenvorsitz, die Erlösung der Partei aus ihrer selbst verschuldeten Schmach, die Chance für einen Neuanfang. Damit steht Kohl alleine in der Geschichte der CDU. Alle christdemokratischen Bundeskanzler dieser Republik wurden von ihrer Partei zu Ehrenvorsitzenden gekürt. Weder Adenauers Spiegel-Affäre noch Kiesingers dunkle NS-Verstrickungen vermochten daran etwas zu ändern. Alle Vorgänger Kohls trugen den Ehrentitel bis zuletzt. Kohl, scheint es, nimmt lieber die Namen seiner Spender mit ins Grab. Warum nur?
Helmut Kohl will entweder die CDU schützen . . .
Szenario 1: Der Held
Dieses Szenario hat etwas Heroisches. Es geht von einem dunklen Geheimnis im Herzen des Spendenskandals aus, dessen Enthüllung die CDU noch profunder erschüttern würde als alles bisher Bekannte. Der Altkanzler begräbt das Wissen darum in seiner Brust, auch wenn er selbst darüber zugrunde geht. Helmut Kohl versucht die CDU also gegen ihren eigenen Widerstand vor dem Untergang zu bewahren. Diese Variante schreibt den Mythos von Kohl als Übermenschen, dem ein unergründliches Schicksal Prüfungen auferlegt, fort. Entsprechend beliebt ist sie bei Kohlianern.
Szenario 2: Schwarzes Geld
Das Geld wurde nicht erst auf dem Weg von den Spendern in Helmut Kohls Taschen schwarz, sondern war es bereits vorher. Kohl müsste bei Preisgabe der Namen befürchten, dass seine Wohltäter wegen Steuerhinterziehung verfolgt würden. Geldgeber der CDU derart hinzuhängen könnte auch gesetzestreue Spender dauerhaft verschrecken. Dieses Szenario erklärt außerdem, warum die Geldgeber auf Quittungen verzichteten und damit auf die Möglichkeit, ihre Gabe steuerlich abzusetzen: Sie haben schon durch die Hinterziehung Steuern gespart. Die CDU stünde als Empfängerin von Schwarzgeld doppelt blamiert da – und müsste womöglich ein Verfahren wegen Geldwäsche gewärtigen. Diese liegt vor, wenn aus Straftaten gewonnenes Geld durch Einzahlung auf Konten oder durch Verbuchen als Geschäftseinnahmen „legalisiert“ werden soll. Nach dem verschärften Geldwäschegesetz müsste die CDU mit sofortiger Beschlagnahme von Vermögenswerten rechnen. Seit 1999 reicht dazu bereits einfacher Verdacht auf die kriminelle Herkunft des Geldes aus.
Szenario 3: Die Nebelkerze „Kohls Schweigen“ ist eine Nebelbank. Das Ehrenwort ist eine Erfindung. Es soll verhüllen, dass es keine Spender gibt. In Wahrheit stammt das Geld nicht von außerhalb der Parteikassen, sondern befand sich schon immer in einem geheimen Depot. Ähnlich wie bei der hessischen CDU könnte es sich um Erträge aus Flick-Geldern der 70er- und 80er-Jahre handeln. Kohls Eingeständnis, 1,5 bis 2 Millionen Mark in bar entgegengenommen zu haben, wäre dann nur der Versuch gewesen, den Geldzufluss zu verschleiern. Das Kalkül: An der Quelle würden Staatsanwalt und Steuerfahnder noch ungeahnte andere Summen finden. Der CDU drohte das Kanther-Desaster in Potenz.
. . . oder er schützt nursich selbst, Helmut Kohl
Szenario 1: Bunker-Mann
Eingeigelt in seinen finstren Bungalow zu Oggersheim oder in sein kaum weniger erfreuliches Büro in Berlin, brütet Helmut Kohl. Als Historiker weiß er um die Undankbarkeit der Erben großer Männer. Dass es so schnell gehen soll, findet er immer noch unbegreiflich. Von seinem großen Reich in Land und Partei ist ihm nur noch ein Fleckchen geblieben, in dem seine Herrschaft unumschränkt ist – sein Gedächtnis. Was dort gebunkert ist, wird ihm niemand entreißen. Für diesen letzten Kampf opfert er alles, denn sonst bricht mehr zusammen als die CDU – Helmut Kohls Stolz. Szenario 2: Mafia-Connection
Mafia ist keine Organisation, steht im Lexikon, sondern ein Zustand. Kohl schweigt also nicht, weil geheime Mächte ihn zu erpressen suchen. Der Ex-Ehrenvorsitzende ist vielmehr beseelt von einem Denken, in dem der Weg an die Öffentlichkeit nie ein Weg war. Seit Kohls jungen Jahren als Lobbyist der Chemieindustrie hat er sich auf die Diskretion und die helfenden Hände mächtiger Freunde verlassen können. Das Gesetz des Schweigens hat hier so viele Freunde wie in Kalabrien: Ein Ehrenmann hält Ehrenwort. Dieses System, das Kohl nicht erfunden, sondern nur genutzt hat, straft Verrat mit Isolation: Dort kommt der Tod nicht aus dem Maschinengewehr, sondern plötzlich bleiben die Weihnachtsgrüße aus.
Szenario 3: Einfache Lösung
Das Geld war doch Schmiergeld. Von Elf Aquitaine oder Thyssen, den Russen oder den Saudis. Korrupt zu sein – das ist die eine Sünde, die Dr. h. c. Kohl sich selbst nie vergeben könnte.
Patrik Schwarz, Berlin
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