Der Wiener Ehekrach beginnt schon vor der Trauung

Während Österreichs Konservative und Sozialdemokraten noch um Kabinettsposten schachern, macht sich an der Basis Widerstand gegen das Koalitionabkommen breit

Wien (taz) – Das Geschirr fliegt schon vor der Trauung, und in den Familien droht der Bruch. Das Bild von der scheuen Braut (ÖVP) und dem heftig werbenden Bräutigam (SPÖ), das die Medien in Zusammenhang mit den Koalitionsverhandlungen ständig bemühen, stimmt längst nicht mehr. Die Braut, die sich monatelang zierte, auf die Angebote des Partners einzugehen, zeigt ihre Krallen. Nicht nur, dass das Koalitionspapier die Handschrift der ÖVP trägt. Jetzt will die Braut auch noch das Familienerbe des Zukünftigen überschrieben bekommen. Die ÖVP fordert zu den von ihr besetzten Ressorts ein weiteres Schlüsselministerium. Am liebsten das für Finanzen, doch würde sie sich auch mit Sozialem zufriedengeben. „Ich glaube, dass es Grenzen des Zumutbaren gibt“, bemerkte Bundeskanzler Klima.

Für Rudolf Edlinger (SPÖ), den bisherigen Finanzminister, würde die Abgabe des Ressorts eine entscheidende Schwächung des Kanzlers bedeuten. Denn der Bundeskanzler hat in Österreich eine relativ bescheidene Koordinationskompetenz. „Er braucht daher eine Person seines Vertrauens im Finanzministerium, um funktionieren zu können“, sagte Edlinger.

Ging es beim Gespräch zwischen Viktor Klima und Wolfgang Schüssel am Donnerstag nur um die Kabinettsliste, brodelt an der Basis beider Parteien die Rebellion gegen das Koalitionsabkommen. Bei den Jungsozialisten blockierten Anrufer, die ihre Austrittserklärungen loswerden wollten, stundenlang alle Leitungen. Für SJ-Chef Robert Pichler eine logische Konsequenz des Bruchs sämtlicher Wahlversprechen der SPÖ. Die Aufweichung der Neutralität gehört genauso dazu wie geplante Studiengebühren. Als der SPÖ-Vorstand Mittwoch Nachmittag zusammentrat, war die Kabinettsliste noch nicht ausgehandelt. Aber schon die Abstimmung über das Koalitionspapier wurde zur Zitterpartie für Klima und seine Genossen. Neben den Jusos machte auch die Gewerkschaftsfraktion gegen das Abkommen mobil. Pikantes Detail: Die von den Gewerkschaftern bekämpfte Hebung des Pensionsalters und Einsparungen in der Verwaltung sind auf dem Mist von Edlinger gewachsen. Der weiß nicht, wie er die Budgetlöcher stopfen soll.

Das Ergebnis von 32:13 Stimmen für Klimas Pakt ist für sozialdemokratische Verhältnisse eine Niederlage. Was Wunder, dass die ÖVP jetzt Garantien verlangt. Die stellvertretende Parteivorsitzende Elisabeth Gehrer forderte von allen Mitgliedern des SPÖ-Verhandlungsteams eine Unterschrift unter das Abkommen. In erster Linie denkt sie an den Chef der Metallergewerkschaften, Rudolf Nürnberger, und den Chef der Parlamentsfraktion, Peter Kostelka. Es gehe nicht an, dass Beschlüsse der Regierung später von den Gewerkschaften oder den eigenen Leuten im Nationalrat torpediert würden.

Auch der ÖVP droht eine Zerreißprobe. Die Funktionäre, die am Dienstag dem Koalitionspakt zustimmten, wissen, dass sie an der Basis keine Mehrheit haben. Klubchef Andreas Khol hält ein Platzen des Abkommens für möglich. Und so wagen nicht einmal bestinformierte Kommentatoren eine Prognose, ob die Regierung nächste Woche steht.

Ralf Leonhard