: Örtliche Panik unter der Titanic
■ In Hamburg kämpft die CDU-Basis um die Zukunft der Partei. Zum Beispiel der Ortsverein Sülldorf/Iserbrook in der Gaststätte „Zur Landesgrenze“
An der Wand hängen orangefarbene Rettungsringe und ein Poster des legendären Luxusliners „Titantic“: Symbolträchtiger hätte der Ort für die Vorstandssitzung des Hamburger CDU-Ortsverbands Sülldorf/Iserbrook am Donnerstagabend nicht sein können. Der Vorsitzende Peter Schmidt hatte wegen der Finanzaffäre der Partei die Vorstandsmitglieder im Billardzimmer der Gaststätte „Zur Landesgrenze“ zusammengetrommelt. Rasch wurde klar: Die CDU-Basis hat restlos die Nase voll von den Ausreden und Winkelzügen, mit „denen sich die Parteioberen derzeit um die Wahrheit drücken“.
Vor allem die jungen CDU-Mitglieder forderten den radikalen Bruch mit der Vergangenheit der Partei. „Ich bin stinksauer und verliere langsam die Lust“, bricht es aus dem 23-jährigen Matthias Kirchner heraus. Frank Hönniger (30), Kreisvorsitzender der Jungen Union, bezweifelt, ob Parteichef Wolfgang Schäuble noch der richtige Mann ist, die Partei zu führen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nichts von den schwarzen Kassen Helmut Kohls gewusst hat.“
Irene Schmidt zeichnet ein düs-teres Bild der CDU. „Jeder intelligente junge Mensch bleibt doch so einer Partei fern.“ Aufgebracht fährt sie fort: „Es kommen nur Mittelmäßige nach oben“, weil man an der Basis nichts Wichtiges entscheiden könne. Hönniger konstatiert Ratlosigkeit und Frustration. Jetzt müsse sich grundsätzlich etwas ändern. Hönniger fordert, dass nichts mehr hinter verschlossenen Türen ausgekungelt werde.
Gerti Weber, Schatzmeisterin des Ortsverbandes, wird zwar auch künftig bei Wahlen für die CDU stimmen. Aber ihre Enttäuschung und ihre Sorge um die Existenz der Partei kann sie nicht verbergen: „Die CDU muss bleiben“, sagt sie mit besorgter Stimme und wiederholt: „Die Arbeit, die wir an der Basis geleistet haben, muss doch bleiben.“ Der 27-jährige Arne Ries wird deutlicher: „Wir stehen bei jedem Wetter an den Ständen“ und die Parteiführung treibe ihre Spielchen. „Für wie blöd halten die uns eigentlich?“
Trotz aller Verbitterung – an Aufgabe oder Parteiaustritt denkt an diesem Abend in der Runde niemand. Die Krise der Partei berge die Chance, neue und demokratische Strukturen in der CDU zu schaffen. Ortsverbandsvorsitzender Schmidt geißelt vor allem das gegenwärtige Delegiertensystem als „Gift für die Demokratie“. Jedes Mitglied, das wolle, sollte künftig an einem Kreisparteitag teilnehmen, mitreden und abstimmen dürfen. Bislang haben dieses Recht nur Delegierte.
Klar wird an diesem Abend auch, dass Ex-Kanzler Helmut Kohl in der Runde keine Unterstützung mehr findet. „Kohl hätte gleich nach der verlorenen Bundestagswahl aufgeben sollen“, sagt Gerti Weber. Außerdem müsse er alles offen legen, was er wisse. Irene Schmidt empört sich darüber, dass Kohl am Mittwoch bei einem Auftritt in der Handelskammer Hamburg „so hofiert“ wurde. Auch Hamburgs Landeschef Dirk Fischer erntet Kritik, weil er viel zu spät und nur halbherzig auf Distanz zu Kohl gegangen sei. Der hänge doch sowieso immer nur seine Fahne in den Wind, moniert Matthias Kirchner.
Eine Sorge lässt an diesem Abend die 53-jährige Marlies Wordtmann nicht los. Bei dem Begriff „Ehrenwort“ habe sie ein „komisches Gefühl im Bauch“. Schließlich sei bereits der frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, über sein Ehrenwort gestolpert. „Ich habe Angst, dass uns die Vergangenheit einholt“ und das auch das Ehrenwort von Kohl geschwindelt sei, sagt Wordtmann. Der Versammlungsort liegt nur einige hunderte Meter von der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein entfernt.
Oliver Schirg / Anke Hüsig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen