: Solidarität mit Frau Günther
Er hatte die erste Punkfrisur der Geschichte, schrieb Seeräuber- und Liebeslieder und auch mal was Politisches: Ernst Busch, Arbeitersänger und Spanienkämpfer, wäre an diesem Tag 100 geworden ■ Von Falko Hennig
Unsere Musiklehrerin hieß Frau Günther, hatte eine Brille und trug ihre gewaltigen Brüste so hoch geschnürt, dass es fast gefährlich aussah. Ihr blondiertes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie war um die 50. In dem Raum stand ein Flügel, an den Wänden hingen Plakate von Operetten- und Opernaufführungen. In diesem mit einer gewissen Leidenschaft für die Musik ausgestatteten Kabinett muss es gewesen sein, dass ich erstmals von Ernst Busch erfuhr.
Ich war 10 Jahre alt, es war 1980, und natürlich war Ernst Busch auch vorher schon in Musikbüchern, Filmen und auf Plakaten gegenwärtig als die lebende Legende: Arbeitersänger, Zusammenarbeit mit Brecht, Eisler, Spanienkrieg. Die Illustrierte NBI brachte einen großen Bericht mit Farbfotos zum 80. Geburtstag des Sängers, der im Musikzimmer aushing, und noch im selben Jahr starb Ernst Busch.
Von dem weiteren Brimborium, Staatsbegräbnis usw. ist mir nichts in Erinnerung. Bei den Leuten, mit denen ich zu tun hatte, war Busch nicht besonders beliebt. Er war offizieller Staatssänger, und wenn dieser Staat die peinliche DDR ist, steht das niemandem gut zu Gesicht. Er war eine Lachnummer wie die Berufsjugendlichen von Oktoberklub und FDJ, unbeliebt wie die Puhdys, Karat, die Gruppe Keks oder der sozialistische Old Shatterhand Dean Reed. Hätte sich einer als Ernst-Busch-Fan geoutet, wäre er für den Rest der Schulzeit lächerlich gewesen. Angesichts der tatsächlichen DDR war Ernst Buschs Pathos nur noch falsch, unerträgliche hundertköpfige Männerchöre sangen den Refrain „Hoch, ihr Sowjetsoldaten“ mit aller Inbrunst und ließen auch Sympathisanten mit Übelkeit kämpfen.
Aber dann war die DDR zu Ende, und ich summte wieder gern beim nächtlichen Heimweg Spaniens Himmel. Und ich hörte Ernst Busch wieder mit Vergnügen. Der Traum der gerechten, von Ausbeutung freien Welt ist schön, wenn man ihn nicht unter der ignoranten, unfähigen SED ertragen muss.
Mit den Jahren hat sich einiges bei mir angesammelt. Zuerst vom Flohmarkt neben dem Tacheles eine Pappschachtel mit drei Kassetten für 49,90 D-Mark. Der ursprüngliche Preis des VEB Deutsche Schallplatten war 70,80 Mark der DDR, sogar in Dolby! Eine wunderbare Ausgabe samt Beiheft. Dann kaufte ich diverse Raubkopien, sowohl Kassette als auch Texte, sang auch mitunter manches nach. Aber niemals was Politisches, so weit in den Graubereich unfreiwilliger Komik wollte ich nicht gehen. Aber die neutralen Seeräuber- und Liebeslieder sind für jede Zeit genießbar.
Eine kleine Schallplatte aus dem Plattenladen in der Kastanienallee heißt „Solidarität mit Chile“, und Busch widmete sie Luis Corvalán, dem Chef der dortigen Kommunisten. Im selben Geschäft kaufte ich auch eine Aurora-Langspielplatte. Eine andere vom Flohmarkt Arkonaplatz mit Liedern des Spanischen Bürgerkriegs stammt aus dem Verlag pläne in Dortmund, Ruhrallee 62.
Dann war in dem Antiquariat in der Schönhauser Allee, neben dem Sportlertreff, dieser Bildband im Schuber, der kostete 75 Mark. Aber er war mit so vielen großartigen Dokumenten, Filmo- und Diskografien ausgestattet, dass ich mich verschuldete und kaufte. Das war für die Buchhändlerin Anlass, mich in ihr Lager zu führen. Dort standen dann die ursprünglichen Aurora-Ausgaben aus den 60er-Jahren, wie Broschüren, mit Texten und Bildern zu den Aufnahmen. Die späteren Langspielplatten sind nur eine billige Kopie dieser kleinen bibliophilen Meisterwerke. Ich hielt mich doch lieber zurück, bekam dann aber zwei davon zum Geburtstag geschenkt.
Eigenartig, dass Busch umso stärker wirkt, je simpler, je unpolitischer seine Lieder sind. Das Stempellied kann als heimatliches Volkslied durchgehen wie ja viele der vertonten Gedichte von Kästner, Mehring, Brecht.
Punk war mir eigentlich sympathischer als Ernst Busch, obwohl natürlich bei Letzterem die Texte viel verständlicher artikuliert waren. Doch dann blättere ich den Bildband durch und sehe Busch als Chinese Tschao im „Kreidekreis“. Eines der bedeutendsten chinesischen Gedichte besteht aus nur zwei Schriftzeichen: Leben Netz. Und einige Seiten weiter sieht man Busch und Erich Weinert in Spanien sitzen, ein Windstoß im Augenblick des Fotografierens lässt die ersten Punkfrisuren der Geschichte entstehen.
In der zuerst erwähnten DDR-Kassettenausgabe ist Oskar Sala als einer der Busch begleitenden Musiker erwähnt. Sala lebt noch immer in Berlin als letzter Trautonist, und als solchen habe ich ihn für die taz interviewt. Noch augenscheinlicher werden die Maschen der Verbindungen, Bekanntschaften und Zusammenarbeiten, berücksichtigt man die vielen Filme und Theaterstücke, in denen Busch spielte.
Da ist Friedrich Luft, der ihn lobte, Gustaf Gründgens, der ihm das Leben rettete, Honecker, mit dem er unter den Nazis im Zuchthaus Brandenburg saß. Ausgerechnet bei einem alliierten Bombenangriff erlitt Busch dann so schwere Verletzungen, dass er zu den Toten gelegt wurde und lebenslang eine Gesichtslähmung behielt. In diesem Zuchthaus, in dem auch Robert Havemann einsaß und sich, zweimal zum Tode verurteilt, nicht abhalten ließ, innerhalb der Gefängnismauern die Feindsender abzuhören und die Informationen in einer, natürlich illegalen Zeitung zu verbreiten. Das Leben ist ein Netz.
„Lass deine Gedanken nicht müde werden“: Gisela May, Klaus Völker, Uwe Lohse und andere feiern Ernst Buschs 100. Geburtstag. Heute, 20 Uhr, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10
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