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Erinnern an das Erinnern

■ Der Mehrteiler „Auschwitz und kein Ende“ dokumentiertden Umgang der Deutschen mit der Last ihrer Vergangenheit

Die kulturelle Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung, ihre Aufarbeitung in der Bundesrepublik, in vier Folgen fernsehgerecht aufbereitet, ist ein kühnes Projekt, das so wohl nur bei den ARD-Dritten Platz finden konnte. In jeweils 45 Minuten unternimmt „Auschwitz und kein Ende“, eine Koproduktion des Südwestrundfunks mit dem Westdeutschen Rundfunk, einen Eilmarsch durch die jüngste Zeitgeschichte. Auf wenige Sternstunden, wie Willi Brandts Kniefall in Warschau, folgen Abgründe wie der Händedruck von Helmut Kohl und Ronald Reagan auf dem Bitburger Soldatenfriedhof oder die aktuelle Debatte um das Mahnmal für die ermordeten europäischen Juden.

„Auschwitz und kein Ende“ ist vor allem aber eine Geschichte der unterschiedlichen Darstellungsweisen und künstlerischen „Bewältigungsstrategien“ im Spiegel der Massenmedien.

Film und Wochenschau konfrontierten in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis weit in die 50er-Jahre die deutsche Bevölkerung mit den Greueln des „Tausendjährigen Reichs“, oft unfreiwillig und nur im Rahmen der Reeducation-Politik der alliierten Sieger. Der Holocaust, so argumentiert Teil eins der Serie unter dem Titel „Die schwarze Milch der Frühe“, schaut sonst eher durch die Hintertür: In Wolfgang Borcherts damals äußerst erfolgreichen Heimkehrerstück „Draußen vor der Tür“ ist der Vater des Kriegsheimkehrers Beckmann im Original noch als „Judenhasser“ beschrieben, der nach Kriegsende Selbstmord begeht, im Kinofilm von 1947 plötzlich dann nur noch ein „ganz scharfer Nazi“, und als 1957 das Stück zum ersten Mal über die Bildschirme flimmert, ist das Motiv für die Selbsttötung ein lapidares: „Der Vater hat sich in den 12 Jahren verausgabt“ – von den Juden ist keine Rede mehr.

Ganz breit konfrontierte dafür 1947 Kurt Maetzigs „Ehe im Schatten“ die Massen. Die Geschichte eines Paares, bei dem die jüdische Ehefrau ihrem Mann zuliebe in Deutschland bleibt, zog – obwohl von der Defa produziert – auch im Westen die Menschen ins Kino und in seinen Bann.

Doch insgesamt war Westdeutschland zu sehr mit dem Wiederaufbau und beginnenden Kalten Krieg beschäftigt, um die damals vom Philosophen Carl Jaspers formulierte „politische Haftung“ für Auschwitz zu übernehmen. In der jungen DDR wird das Konzentrationslager Buchenwald zum Gründungsmythos, allerdings fast nur mit Blick auf den kommunistischen Widerstand. Jüdisches Leid wird auch hier in den Hintergrund gedrängt, die DDR, so die Autoren Andreas Christoph Schmidt und Holger Hillesheim, „entzog sich unter dem Mantel des Warschauer Pakts“.

Die erste Folge von „Auschwitz und kein Ende“ schildert gelungen die heute unfassbare Langsamkeit der Bereitschaft zum Umgang mit der Erinnerung. Kürzer greifen dagegen die Folgen drei („Holocaust – ein Medienereignis“ über die 70er- und 80er-Jahre) und vier der Serie („Trauer, staatstragend“ über die 90er-Jahre). Zu schmal bleiben die Bezüge auf die jeweiligen politischen Dimensionen des Erinnerns: Bitburg und der Historikerstreit werden nur gestreift – und der These, Gedenken als mediales Ereignis habe erst die Zeit seit der US-Serie „Holocaust“ geprägt, widerspricht eigentlich schon der erste Teil von „Auschwitz und kein Ende“.

In den 90ern überschlagen sich dann die Ereignisse: Mauerfall, Gedenkprofessionalismus und Mahnmaldebatte, Anschläge auf Asylbewerberheime und Schindlers Liste, Goldhagens „Willige Vollstrecker“ und die Kontroverse um die Wehrmachtsausstellung. Am Ende stehen zwei Positionen einander gegenüber, verkörpert durch Martin Walser und Ignatz Bubis: Die Warnung vor der Instrumentalisierung von Auschwitz – gegen die Mahner wider das Vergessen. Steffen GrimbergTeil 1: „Die schwarze Milch der Frühe“. Heute, 22.15 Uhr, Südwest 3; Teile 2–4 am 31. 1., 7. 2., 14. 2. jeweils 22.15 Uhr

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