: Einig im Beklagen, zerstritten im Verklagen
■ Die CDU ist sich uneins, wie weit die Abnabelung vom Ex-Kanzler und Übervater gehen darf. Ob Zivilklage, Mandatsverzicht oder Parteiausschluss – die Union diskutiert alle Mittel. Blüm ruft höhere moralische Instanz an
Sogar Helmut Kohls treuester Weggefährte versinkt mittlerweile in tiefer Frustration. „Ich war ja oft im Keller“, beschrieb der sonst so spaßige Norbert Blüm gestern seinen Seelenzustand wegen Kohls beharrlichem Schweigen in der Spendenaffäre. „Aber jetzt bin ich erst mal depressiv.“
Der gottesfürchtige Ex-Arbeitsminister sucht nach einer „höheren moralischen Instanz, die Helmut Kohl auffordern könnte, sein Schweigen zu brechen“. Doch während Blüm im Metaphysischen schwelgt, streiten seine Parteifreunde bereits über ganz profane Zwangsmittel gegen Kohl: Soll man ihm juristisch nachhelfen, die Namen der anonymen Gönner preiszugeben? Auch hier zerfällt die CDU in Lager.
Kohlianer, wie die Unions-Landeschefs Christoph Böhr (Rheinland-Pfalz) oder Bernd Neumann (Bremen), haben es schon nicht mittragen können, dem Kanzler der Einheit den Ehrenvorsitz zeitweise abzuerkennen. Kohl vor den Kadi zu zerren ist für sie ein unvorstellbarer Gedanke. „Es darf nicht weiter über rechtliche Schritte spekuliert werden“, forderte Böhr ein Ende der Debatte.
Zu den Truppen des Herrn der schwarzen Kassen bekennt sich auch Jürgen Rüttgers. Es mache keinen Sinn, „eine Eskalation von Drohungen in Gang zu setzen“, sagte der Spitzenkandidat der CDU für die im Mai angesetzten NRW-Landtagswahlen. Rüttgers, der schon einmal als Kampfkandidat gegen Schäuble gehandelt wurde, schickte via Welt am Sonntag eine Drohung gegen die Aufklärer hinterher: „Wenn aus Aufklärung Machtkampf wird, nimmt die CDU schweren Schaden.“
Rüttgers Spitze richtete sich gegen CDU-Chef Wolfgang Schäuble und den forschen Oberaufklärer Christian Wulff. Wie berichtet, hatten sie Kohl gedroht, man könne auch den gerichtlichen Weg beschreiten. Schäuble sprach von Regressforderungen. Wulff ergänzte, der CDU-Vorstand müsse das Parteivermögen angemessen betreuen – und daher auch eine Zivilklage ins Auge fassen.
Vor einer Woche noch war der Klageweg gegen Kohl ausschließlich ein Thema der Medien. Seit der Dicke aber den fröhlich Verschwiegenen gibt, sind diverse Zwangsmittel in aller CDU-Munde. Steuerexperte Friedrich Merz meinte, er könne sich kaum vorstellen, mit dem einstigen Vorbild weiter in einer Fraktion zusammenzuarbeiten. Das eine oder andere Unionsmitglied spintisiert gar von einem Parteiausschluss Kohls, der 25 Jahre an der Spitze der CDU stand und die Junge Union 1946 mit gegründet hat.
Als mögliche Vorgehensweise kristallisiert sich mittlerweile der zivilrechtliche Weg heraus. Auch betont seriöse CDU-Größen wie die stellvertretende Bundesvorsitzende Annette Schavan (Baden-Württemberg) plädieren dafür. Denkbar wären zwei Varianten: Die CDU erlangt, wie jeder normale Verein es nach Bürgerlichem Gesetzbuch tun kann, von ihrem ehemaligen Vorsitzenden Rechenschaft – notfalls per eidesstattlicher Erklärung. Oder die Union macht Kohl für den Schaden haftbar, der ihr durch sein Schweigen entsteht. Solange Kohl die anonymen Spender nicht nennt, sind die Rechenschaftsberichte der CDU falsch und es drohen millionenschwere Rückzahlungen von Staatszuschüssen an die Partei.
Die Uneinigkeit über das weitere Vorgehen reicht bis in die Parteispitze. Angela Merkel wandte gestern gegen den juristischen Weg ein, nicht „alle Schritte auf einmal zu gehen“. Parteichef Schäuble äußerte sich wie gewohnt sibyllinisch. Erst forderte er Regress, dann fühlte er sich damit falsch verstanden.
Erhört wurde einzig Norbert Blüm. Eine unabhängige moralische Instanz fällte für ihn ein unzweideutiges Urteil: „Im Rechtsstaat kann der Bruch des Rechts nicht mit einem Ehrenwort bemäntelt werden.“ So lautet das Bischofswort, gesprochen von Wolfgang Huber, dem Oberhirten der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Christian Füller
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