Opfertod gegen das NS-Regime: Katholische Antifalegenden
Die katholische Kirche schafft sich ihre Märtyrer. Einer von ihnen ist der Essener Bergmann und spätere Chefredakteur der Verbandszeitung der katholischen Arbeiterbewegung, Nikolaus Groß. Wegen seiner Beteiligung am Anschlag auf Hitler vom 20. Juli 1944 verurteilte ihn NS-Schreckensrichter Roland Freisler zum Tode.
Seit Jahren betreibt die Kirche ein Verfahren, das zur Seligsprechung von Nikolaus Groß führen soll und aller Voraussicht nach auch wird. Sein „Opfertod für den Glauben“ würde Groß damit zum offiziell verehrungswürdigen Katholiken erheben.
Der in Köln lebende Sohn Alexander Groß war dreizehn Jahre alt, als sein Vater in Plötzensee hingerichtet wurde. Märtyrer im amtskirchlichen Sinne seien christliche Widerstandskämpfer wie Nikolaus Groß keineswegs gewesen, schreibt er in seinem soeben erschienenen Buch unter dem Titel „Gehorsame Kirche – ungehorsame Christen im Nationalsozialismus“; nicht fromme Glaubenshüter allein, sondern Menschen, die ihr Christsein mit humanitären politischen Grundsätzen verbanden, die in den Widerstand mündeten.
Grundsätze, mit denen die Kirchenleitung nichts zu tun haben wollte. Demut und Gehorsam den Machthabern gegenüber lautete vielmehr die katholische Botschaft, die Alexander Groß anhand von Hirtenbriefen, Predigttexten und Liederbüchern dokumentiert. Leitlinie war das Pauluswort von der stets gottgewollten Obrigkeit. Auf diese Weise, schreibt Groß, habe die Kirchenleitung das NS-Regime nicht nur gestützt, sondern auch engagierte, zum Umsturz entschlossene Christen in Gewissensnot gebracht. Schließlich waren diese der Institution Kirche eng verbunden und sahen in Papst und Bischöfen deren rechtmäßige „Säulen auf Erden“.
So gerieten katholische Widerstandskämpfer in den Konflikt zwischen Loyalität zu den Würdenträgern und der Überzeugung, ein menschenverachtendes System beseitigen zu müssen. Auch nach dem Hitler-Attentat hoffte der christliche Widerstand auf die Unterstützung der Kirchenleitung vergeblich. So erreichte etwa Nikolaus Groß während seiner mehr als viermonatigen Haft „nicht ein einziges Zeichen von einem Bischof oder Generalvikar“, ein solches gab es auch für seine Ehefrau Elisabeth und ihre sieben Kinder nicht. Der päpstliche Nuntius in Deutschland lehnte es ausdrücklich ab, sich für das Leben der am Anschlag Beteiligten einzusetzen.
Dagegen konnte sich nach 1945 so mancher Parteigenosse eines bischöflichen „Persilscheines“ sicher sein. Von einem „kirchlichen Widerstand“ könne keine Rede sein, stellt Alexander Groß fest. Nicht aus Gehorsam gegenüber der Kirche, eher aus Distanz zu ihr seien Menschen wie sein Vater zu Widerstandskämpfern geworden. Das Vorbildliche dieser Christen sieht er gerade darin, dass sie sich über die kirchenoffizielle Achtung des Regimes hinwegsetzten.
Einer ebenso frömmelnden wie geschichtsklitternden Märtyrerverehrung der Amtskirche setzen Thomas Pfeiffer und Alexander Groß „die ,Heiligkeit‘ des Ungehorsams in einer notwendigen Widerstandskultur“ entgegen. Eine lohnende Lektüre.
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