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Ein Spiel über die Bande

In der jüdischen Gemeinschaft brodelt ein Konflikt zwischen Progressiven und Orthodoxen. In Berlin, der größten jüdischen Gemeinde, kommt es heute zu einem Showdown ■ Von Philipp Gessler

„Unter normalen Umständen müsste dieser Vorgang den sofortigenRücktritt des Antragstellers aus dem Vorstand zur Folge haben.“

Der Konflikt, der die Jüdische Gemeinde zu Berlin und die gesamte Gemeinschaft der Juden in Deutschland derzeit fast zerreißt, lässt sich mit einem jüdischen Witz erklären: Ein Jude wird als einziger Überlebender einer Schiffskatastrophe auf eine Insel in der Südsee gespült. In den Jahren der Einsamkeit baut er sich sein altes Heimatdorf wieder auf. Als ein Schiff kommt, um ihn zu retten, will er, stolz auf sein Werk, dem Kapitän sein Reich zeigen. Er geht mit ihm die Dorfstraße entlang. „Hier ist die Bücherei“, erzählt er, „hier ist der Lebensmittel-Laden, hier die Schule, da die Synagoge, dort die andere, hier das Bürgerhaus ...“ „Moment mal“, sagt der Kapitän, „Warum haben Sie zwei Synagogen gebaut?“ „Dies“, sagt der Mann, „ist die Synagoge, in die ich gehe.“ „Und die andere?“ „Lieber sterbe ich, als in die zu gehen.“

Zwar ist die Auseinandersetzung zwischen progressiv-liberalen und orthodox-konservativen Juden so alt wie das Judentum selbst. Neu aber ist, wie sehr er in den letzten Monaten in Berlin eskaliert ist. Die Hauptstadtpresse schreibt von einem „Machtkampf“ , einem „Richtungsstreit“, ja einem „tiefen Riss“ durch die Gemeinde. Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung sieht die jüdische Gemeinde „in Grabenkämpfe verstrickt“. Und heute abend in der Repräsentanten-Versammlung, dem „Parlament“ der größten jüdischen Gemeinschaft der Bundesrepublik, wird der Streit hochkochen.

Moishe Waks, Vizechef der Gemeinde, will einen Beschluss der 21 Repräsentanten, dass die Gemeinde ihre Mitgliedschaft in der „World Union for Progressive Judaism“ (Weltunion für das progressive Judentum) ruhen lässt. Und zwar so lange, bis die World Union Vorwürfe gegen den Zentralrat der Juden in Deutschland zurücknimmt und sich von den Aktivitäten eines der führenden liberalen Rabbiners in Deutschland, Walter Homolka, distanziert.

Der Hintergrund: Im vergangenen Frühjahr hatte die World Union in Protestbriefen an den Zentralrat und mehrere Bundes- und Länderministerien beklagt, dass liberale Juden in Deutschland diskriminiert würden.

Dazu muss man wissen, dass der Zentralrat und praktisch alle Gemeinden Deutschlands orthodox geprägt sind. Viele liberale Juden bemängeln nun, dass sie zwar wie andere Juden auch an ihre Gemeinden über den Staat Steuern abführen (vergleichbar den Kirchensteuern, die Christen zahlen). Aber ihre Splittergemeinden, so kritisieren die liberalen Juden, erhielten von diesem Geld nichts.

In der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands herrscht nämlich das Prinzip der „Einheitsgemeinde“: Alle Juden, gleich welcher Glaubensrichtung, haben nur eine Repräsentanz in ihrer Stadt. Und nur sie kann wie die Kirche als „Körperschaft öffentlichen Rechts“ Gemeindesteuern einnehmen. Die oft lediglich als „e. V.“ organisierten liberalen Splittergemeinden, die es in einigen größeren Städten wie München und Hannover gibt, erhalten dagegen kein Geld aus dem Gemeindesteuerntopf.

Hier kommt Rabbiner Walter Homolka ins Spiel, eine schillernde, umstrittene Gestalt, der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland war. Anfang des Jahres wurde er Chef der Kulturstiftung der Deutschen Bank (der Nachfolger von Brigitte Seebacher-Brandt). Bis dahin war er Vizechef der „Union progressiver Juden“, die er vor drei Jahren mitgegründet hat. Diese Union ist eine Arbeitsgemeinschaft der liberalen Gemeinden Deutschlands, Österreichs und der Schweiz und eine Tochterorganisation der World Union.

Zwar versteht sich die deutschsprachige Union offiziell lediglich als eine religiöse Vereinigung, während der Zentralrat die politische Interessenvertretung der Juden in Deutschland ist. Moishe Waks aber, der Vizechef der jüdischen Gemeinde, ist der Ansicht, dass die deutschsprachige Union in Wahrheit eine parallele bundesweite Organisation politischen Charakters neben dem Zentralrat aufbauen will. Damit würde die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gespalten. Nur durch die große weltweite Mutterorganisation hat die deutschsprachige Union, wie viele vermuten, überhaupt Bedeutung. Oder um es sprichwörtlich zu sagen: Waks schlägt den Esel und meint den Knecht.

Ein persönlicher Konflikt ist die Angelegenheit dadurch geworden, dass die Gemeinde der Hauptstadt in den Zwanzigerjahren eines der Gründungsmitglieder der World Union war – unter Leo Baeck, der bis zur Shoah die bestimmende Gestalt des Judentums in Deutschland war. Der Vorsitzende der Gemeinde, Andreas Nachama, ist im Führungsgremium der World Union, im „Board of Governors“.

Um Nachama hat sich nun eine Phalanx gebildet: Julius Schoeps, Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für jüdische Studien in Potsdam und Mitglied der Berliner Repräsentantenversammlung warf Waks in der Gemeindezeitschrift Jüdisches Berlin vor, Nachama mit seinem Antrag „in der Öffentlichkeit zu diskreditieren“. Und: „Unter normalen Umständen müsste dieser Vorgang den sofortigen Rücktritt des Antragstellers aus dem Vorstand zur Folge haben.“

Tatsächlich hat Schoeps einen Misstrauensantrag gegen Waks initiiert: „Sie können keinem zumuten“, so reportierte die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung den Angriff des Professors auf Waks, „mit Ihnen weiter zusammenzuarbeiten“. Der Konflikt zwischen Schoeps und Waks ist offensichtlich auch deshalb so verbissen, da an Schoeps’ Zentrum in Potsdam das im vergangenen Sommer gegründete liberale Rabbinerseminar Abraham-Geiger-Kolleg angebunden ist. Es soll – undenkbar für orthodoxe Juden – auch Rabbinerinnen ausbilden. Das Kolleg steht, und so schließt sich der Kreis, der Union progressiver Juden nahe.

Auch Schoeps spielt über Bande: Sein Antrag hat als offizielle Begründung nicht den Vorstoß von Waks nach einer Suspendierung der Mitgliedschaft in der World Union. Vielmehr wird Waks vorgeworfen, sich eine Entsendung zu den Wahlen für das Präsidium des Zentralrats erschlichen zu haben.

Was wird nun heute abend bei der Sitzung der Repräsentantenversammlung herauskommen? Schoeps hat erst einmal seinen Antrag auf eine Abwahl Waks’ um einen Monat für die nächste Repräsentantenversammlung verschoben – wahrscheinlich weil er seine Truppen noch nicht zusammen hat, schließlich bräuchte man für den Sturz von Waks eine Zweidrittelmehrheit in der Gemeindeversammlung: Davon ist Schoeps nach Einschätzung von Gemeindemitgliedern weit entfernt.

Waks dagegen braucht für seinen Antrag auf ein Ruhenlassen der Mitgliedschaft der Berliner Gemeinde in der World Union nur eine einfache Mehrheit. Und angesichts des weitverbreiteten Missmuts über Homolka und die deutschsprachige Union erscheint die nicht so schwer erreichbar. Ein dritter Antrag aus dem Umfeld Schoeps’ hat zwar kaum eine Chance und widerspräche wohl auch der Satzung, ist aber als Provokation gemeint. Demnach soll statt des Vorstands der Gemeinde zukünftig das Präsidium der Repräsentantenversammlung Verhandlungspartner des Zentralrats sein.

Klar ist schon jetzt: Was immer heute abend beschlossen wird, der Konflikt in der Jüdischen Gemeinde Berlins und in der Gemeinschaft der Juden in Deutschland ist damit noch lange nicht beendet. Aber ist das schlimm? Pluralismus ist im Judentum immer konstitutiv gewesen – und dazu gehören Konflikte, ob in einem 80-Millionen-Volk oder auf einer einsamen Südseeinsel. Insofern ist die Rückkehr zum Streit eher ein Zurück zur Normalität.

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