: Giftdämpfe aus geheimen Rohren
Durch ein Netz von Nato-Pipelines fließt ein militärischer Flugtreibstoff, der im Verdacht steht, gesundheitsschädlich zu sein. Die Bundeswehr wiegelt ab ■ Aus Berlin Ute Mattigkeit
Bürgermeister Guy Goessens ist in heller Aufregung. Bei einer kurzen Besprechung mit dem eilig zusammengetrommelten Krisenstab im Gemeindehaus des Ortes Oupeye in Belgien wird Goessens das ganze Ausmaß des ungewöhnlichen Unfalls bewusst. Draußen auf den Feldern hat ein Landwirt mit seinem Pflug ein Leck in eine geheime Pipeline der Nato gerissen. In Sekundenschnelle entweichen 150 Kubikmeter Flugbenzin. Es droht durch die Verbindung mit Sauerstoff zu explodieren. Zwar gelingt es der Feuerwehr und belgischen Soldaten, den Riss in der Pipeline schnell wieder zu schließen. Doch der Acker ist großflächig verseucht.
Dieser Unfall, der Ende Oktober 1999 die belgische Öffentlichkeit beschäftigte, könnte sich auch in der Bundesrepublik jeder Zeit wiederholen. Das geheime „Central Europe Pipeline System“ (CEPS) der Nato umfasst 6.000 Kilometer Rohrleitungen, die zu einem großen Teil dem Transport von militärischen Treibstoffen dienen – oft nur 70 Zentimeter unter der Erdoberfläche. Verlauf und Inhaltsstoffe der Nato-Pipeline sind durchaus nicht unproblematisch. Einige Streckenabschnitte durchkreuzen hierzulande Wasserschutzgebiete. Zudem fließt in den Pipelines der Flugtreibstoff JP-8, ein militärischer Kraftstoff, der im Verdacht steht, gesundheitsgefährdend zu sein.
CEPS war seit den 50er Jahren zusammen mit acht weiteren Pipelinesystemen von den Alliierten quer durch Mitteleuropa verlegt worden, um eine schnelle und diskrete Versorgung ihrer Luftstreitkräfte mit Treibstoffen sicherzustellen. Zuletzt kam das Rohrnetz während des Kosovokonfliktes verstärkt zum Einsatz.
Darüber hinaus verdient die Nato seit dem Ende des kalten Krieges mit der Vermietung ihrer unterirdischen Infrastruktur an Mineralölgesellschaften sogar Geld. Heute vernetzen Nato-Pipelinesysteme nicht nur militärische Anlagen, sondern auch zivile Tanklager und Flughäfen wie Frankfurt, Düsseldorf oder Köln/Bonn mit den großen Überseehäfen etwa in Rotterdam und Antwerpen (siehe Karte zu CEPS).
Bei der Verlegung der Rohre vor fast 50 Jahren stand deren militärische Effizienz an erster Stelle. Zwischen Zweibrücken und Bitburg etwa lag die Pipeline bis vor kurzem noch in einem Naturschutzgebiet. „Die französische Besatzungsmacht hat es damals nicht so sehr gekümmert, wo die Röhren liegen“, erzählt der zuständige Manager für Kraftstoff- und Versorgungsanlagen beim Staatsbauamt Landau, Wolfgang Steinberg. Seit 1988 nun ist die Behörde einem internen Papier zufolge „aus Gründen des Umweltschutzes, insbesondere zum Schutz des Grundwassers, sowie zur Sicherstellung eines langfristigen Betriebes“ damit beschäftigt, die Pipeline Zweibrücken – Bitburg umzulegen. Das Projekt soll bald abgeschlossen werden. „Die Verlegung erfolgt bei vollem Betrieb, deswegen hat es so lange gedauert“, so Steinberg. Die Umtrassierung sei zugleich eine Sanierungsmaßnahme, auch wenn es laut Steinberg zum Beispiel im Abschnitt Zweibrücken – Bitburg keine Störungen oder Schäden der alten Pipeline gegeben habe – außer dass „vor vielen Jahren mal ein Bagger dagegen gefahren ist“.
Dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz sind auf Anfrage der taz keine „wesentlichen“ Schäden oder Undichtigkeiten aus den letzten Jahren bekannt. Die in Deutschland mit Wartung und Reparatur der CEPS-Anlagen beauftragte Fernleitungsbetriebsgesellschaft in Bonn wollte zur Nato-Pipeline und ihren Auswirkungen keine Stellungnahme abgeben.
Gleichwohl könnten Unfälle wie jener in Belgien, gravierende Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben. Im Januar letzten Jahres berichtete die amerikanische Air Force Times von Fällen, in denen Soldaten des Bodenpersonals auf US-Militärflugbasen über körperliche Beschwerden und Unwohlsein geklagt hatten. Ein Gesundheitsrisiko bestehe demnach vor allem, wenn Gase des Flugbenzins JP-8 eingeatmet würden oder der Treibstoff direkt auf die Haut gelange.
Im Tierversuch verursachte Flugbenzin Lungenschäden
JP-8 gilt in Nato-Ländern als bevorzugter Kraftstoff, da er im Vergleich zu anderen weniger entzündbar ist und sich nicht so schnell verflüchtigt. Diese „verbesserten“ Eigenschaften werden durch chemische Zusätze, sogenannte Additive erreicht, welche allerdings auch genau die Stoffe sein könnten, die eine gesundheitsgefährende Wirkung des Treibstoffes hervorrufen. Der militärische JP-8 muss extremeren Anforderungen genügen als etwa jene Kraftstoffe, mit denen zivile Verkehrsflugzeuge betankt werden. Der Unterschied zwischen militärischem und zivilem Treibstoff besteht demnach in den Zusätzen. Auch die Maschinen der Bundeswehr fliegen, wie ihre Nato-Partner, mit JP-8, das in der militärischen Fachsprache hierzulande allerdings anders genannt wird – auch wenn es sich um die gleichen Inhaltsstoffe handelt.
Offensichtlich scheint es eine nicht unerhebliche Anzahl von Krankheitsfällen bei amerikanischen Air-Force-Soldaten in Zusammenhang mit JP-8 gegeben zu haben. Der US-Kongress bewilligte 1998 fünf Millionen Dollar, um gesundheitsgefährende Auswirkungen des Teibstoffes von Wissenschaftlern des Umwelt- und Gesundheitsinstitutes an der Texas Tech Universität analysieren zu lassen. „Unsere Untersuchungen sollen klären, welche chemischen, biologischen und physikalischen Auswirkungen Militärbasen der Air Force auf Umwelt und Gesundheit haben. Das beinhaltet auch die Bewertung von toxischen Faktoren“, so Institutsdirektor Ronald J. Kendall.
Auch an der Universität von Vermont (USA) laufen schon seit längerem Untersuchungen zu JP-8. In Versuchen mit Labormäusen fanden die amerikanischen Wissenschaftler Raymond Robledo und Mark Witten heraus, dass bei den Tieren nach Kontakt mit JP-8 Schäden am Lungengewebe auftraten.
In Deutschland haben Wissenschaftler des toxikologischen Instituts der Universität Kiel seit längerem den Verdacht, dass Militärkraftstoffe eine toxische, also giftige Wirkung haben könnte. Die Experten interessieren sich vor allem für chemische Zusätze der Militärtreibstoffe. Bislang konnten sie allerdings keine klärende Untersuchung vornehmen, weil sich die Bundeswehr geweigert hat, eine Probe zur Verfügung zu stellen. Otmar Wassermann, Direktor des Kieler Instituts, ist über die mangelnde Kooperationsbereitschaft schon seit längerem verärgert: „Da stößt man auf eine Betonwand. Es gibt keine genauen Informationen zu diesem Treibstoff. Dieses Verhalten ist unglaublich, immerhin ist die Bundeswehr Teil unserer Gesellschaft und daher eigentlich zur Auskunft verpflichtet.“
Offiziell wissen die zuständigen Gremien im Verteidigungsministerium von nichts. „Ein besonderes gesundheitliches Gefährdungspotential sowie Fälle von konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Soldaten durch Kontakt mit Flugturbinenkraftstoff sind hier nicht bekannt“, beantwortete die Pressestelle des Ministerium in Berlin eine entsprechende Anfrage. Dies ist erstaunlich, denn im Frühjahr will sich sogar der zuständige Nato-Betriebsstoff-Ausschuss mit dem Thema JP-8 näher beschäftigen. Auf der Suche nach Referenten sind für diese Tagung bereits wissenschaftliche Experten, beispielsweise der Sozialmediziner Prof. Dr. Frentzel-Byme aus Bremen, angeschrieben worden. Das Leck in der Nato-Pipeline in Belgien mag geschlossen und das verseuchte Erdreich abgetragen sein, viele Fragen aber bleiben offen.
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