: Der urbane Mensch um dreißig ...
... und der Verlust des Feindbildes: Mit „Lover oder Loser“ und „Kreuz und queer“ verabschiedet sich die britische Komödie von der Sozialkritik und kommt endgültig im England von Tony Blair an ■ Von Thomas Winkler
„Lover oder Loser“ und „Kreuz und queer“ haben viel gemeinsam. Vielleicht zu viel, als dass das allein ein Zufall sein könnte. Nicht nur eine Hauptdarstellerin (Jennifer Ehle), den Schauplatz (London), dämliche deutsche Verleihtitel und den gemeinsamen Starttermin, sondern auch das grundsätzliche Thema: der urbane Mensch um die Dreißig, seine Angst vor dem Erwachsenwerden und die damit verbundenen Herzschmerzangelegenheiten. File under: Komödie, romantisch, bittersüß, aber unpolitisch.
Wären diese beiden Filme schon ein Trend, dann würde das wohl bedeuten, dass sich das englische Kino – zumindest kurzfristig – von einer seiner Lieblingsstrategien verabschiedet hat: Sozialkritik kommt unverdächtig als Komödie daher, im Soundtrack wird der aktuelle Stand des Britpop durchdekliniert und der Film so an die Aktualität angedockt. Müder Ausklang eines Kinos, dessen gesellschaftskritische Tradition bis in die 60er, auf die so genannten kitchen sink-(Spülstein-) Filme des New British Realism zurückgeht und das in den letzten Jahren mit Produktionen wie „Brassed Off“ oder „Ganz oder gar nicht“ weit über den britischen Tellerrand hinaus erfolgreich war.
Unsere beiden aktuellen Kandidaten beschränken sich auf Britpop und den beneidenswert stilsicheren britischen Humor. Aber seit die Konservativen nicht mehr regieren, fehlt wohl das Feindbild, und die Labour Party ist auch nicht mehr das, was sie mal war. So bleibt bis auf weiteres „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ der umsatzstärkste britische Film aller Zeiten. Der nahm vier Jahre vor Thatchers Abgang gewissermaßen schon den Erfolg von New Labour vorweg, gründete sich sein Erfolg doch vor allem auf schönem Schein und substanzloser Schlagfertigkeit. Zugegebenermaßen war der Film auch so eloquent, unterhaltend und raffiniert wie sein politisches Äquivalent Tony Blair. Mit derselben Struktur, wenn auch den wesentlich schlechteren Witzen wiederholten Hauptdarsteller und Produktionsteam im vergangenen Jahr mit dem Quasi-Sequel „Notting Hill“ nahezu diesen Erfolg und stachen sowohl „Lover oder Loser“ als auch „Kreuz und queer“ an den britischen Kinokassen locker aus.
Dass die Frontlinien der Um-die-Thirty-Somethings längst schon ausschließlich im Privaten verlaufen, wird schon im ersten Satz von „Kreuz und queer“ klar. „Mein Mitbewohner meint“, erzählt Leo aus dem Off, „dass mit 30 alles anders wird.“ Das Problem ist: Leo wird heute 30. Ein fast noch größeres Problem ist: Mitbewohner Darren hat eine Überraschungsparty organisiert. Und das allergrößte Problem: Leo weiß nicht, was er will, nicht mal, ob er noch schwul ist. Auf der Party bekommt das Geburtstagskind vergangene und aktuelle Fehler vor Augen geführt, die Irrungen und Wirrungen eines ganzen Lebens, wie sie sich zwischen „Bedrooms and Hallways“ (so der Originaltitel) zwangsläufig entwickeln. Es gefällt Leo nicht, was er sieht: Ehemalige und aktuelle Liebhaber, die vor dem Coming-out gelegene weibliche Teenagerliebe, und selbst die Männergruppe ist komplett angetreten. Per Rückblende wird nun erschlossen, wer mit wem wieso warum und wann.
Aber auch wenn sie chronologisch erzählt wird und vorzugsweise heterosexuell vonstatten geht, bleibt die Paarbildung eine komplizierte Sache. In „Lover oder Loser“ sind Danny und Hannah gerade mal 35 Minuten verheiratet, da findet er heraus, dass sie ihn mit seinem Trauzeugen betrogen hat, pfeffert die Torte an die Wand und setzt ein Beziehungskarussell in Gang, auf dem drei Frauen und drei Männer den Überblick zu verlieren drohen. Drei Jahre dauert es, bis in „This Year's Love“ (Originaltitel) alle Mann-Frau-Kombinationen durchgespielt sind.
Subplots gibt es in „Lover oder Loser“ nicht. Der Film besteht nur aus Subplots. Alles ist wichtig, wenn es nur eine Frage von Liebe ist. So verweben sich alle Schicksale zu einer einzigen Erzählung. Die handelt nicht nur, aber auch von den mehr oder weniger gelungenen Versuchen, erwachsen zu werden, und den anderen Hindernissen neben dem Gefühlsleben, die sich einem dabei in den Weg stellen. Danny ist Tätowierer, Hannah arbeitet in einer Boutique, Cameron ist Maler, Sophie arbeitslos, Liam handelt mit Comics, und Marey singt abends in einer Band. Alle sind sie Teil der neuen, vorzugsweise freiberuflich in Medien und Kultur tätigen, hoch gebildeten neuen Armut. Während andere mit Aktien handeln und die Welt zwischen sich aufteilen, arbeiten sie in streng abgezirkelten Reservaten – heißen sie nun Kreuzberg, Greenwich Village oder eben Camden – weiter an der Verwirklichung der Ideale aus den 60ern. Mit den dazugehörigen Ideologien ist allerdings auch der allgemeine Ansatz verloren gegangen: Was bleibt, sind die Rituale (tätowieren, selbstbestimmte Sexualität, New-Age-Experimente, existenzialistische Literatur), ist der Rückzug ins Private, ohne das Private mehr politisieren zu wollen. Nicht umsonst beginnt „Lover oder Loser“ mit der Hochzeit von Danny und Hannah. Das Jawort beendet endgültig die Jugend. Alle Versuche, sie weiter zu verlängern, sind zum Scheitern verurteilt: Danny fliegt aus seinem Tätowierstudio, Hannah endet an der Supermarktkasse.
„Kreuz und queer“, eh der weniger sensible Film, lässt das seine Protagonisten – wenn auch in mondäneren Settings – in Worte fassen: „Die Illusionen“, erkennt Leo, „werden durch knallharte Realitäten ersetzt.“ Homosexuelle Emanzipationsprobleme spielen keine Rolle mehr, sondern sind bestenfalls der Stoff für Witze: „Mit Männern liegst du richtig“, rät die heterosexuelle Nachbarin dem zweifelnden Schwulen, „Männer sind zwar beschränkt, aber halt auch nicht so kompliziert.“ Nicht nur von den Gründzügen der Geschichte ähnelt „Kreuz und queer“ dem „Bewegten Mann“, wenn auch eher dem selbstbewussten Comicoriginal als der bundesrepublikanisch verklemmten Verfilmung. Absurderweise eignete sich der Film von Sönke Wortmann damals ja ausgerechnet die Perspektive der schwangeren Hetera, der von Til Schweiger verlassenen Katja Riemann, an. Ralph Königs Comic dagegen nimmt wie „Kreuz und queer“ die Perspektive der schwulen (inzwischen nicht mehr Sub-) Kultur auf die unverständlichen Beziehungs- und Fortpflanzungsprobleme der „Quarktaschen“ und „Sahneärsche“ ein. Im Zentrum steht jeweils eben nicht der Hetero, der die Bisexualität austestet wie den neuen BMW, sondern vor allem die Probleme, die sich für den verliebten Schwulen daraus ergeben.
In beiden Filmen suchen alle Beteiligten tapfer nach der einen Beziehung, die funktioniert, nach dem privaten Glück zu zweit, das die Probleme der Welt wenn schon nicht lösen, aber doch wenigstens vergessen hilft. Dabei sind sie doch meistens verdammt, die alten Fehler immer wieder neu zu begehen. Schlussendlich will auch der Schwule geheiratet werden: Selbst der bis zur Karikatur schrille Darren ist erst glücklich, als der Immobilienmakler, mit dem er es regelmäßig in fremder Leute Häuser treibt, bereit ist, eine durchschnittliche Zweierkiste aufzubauen. Wird wirklich Zeit, dass die Homo-Ehe endlich staatlich abgesegnet wird.
„Kreuz und queer“. Regie: Rose Troche, Buch: Robert Farrar. Mit Kevin McKidd, Jennifer Ehle, Tom Hollander, James Purefoy u. a. GB 1998, 96 Min. „Lover oder Loser“. Buch/Regie: David Kane. Mit Kathy Burke, Douglas Henshall, Jennifer Ehle, Ian Hart, Catherine McCormack, Dougray Scott u. a. GB 1999, 108 Min.
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