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Viktor Klima gibt auf

In Österreich soll die Koalitionsregierung mit Haider schon nächste Woche stehen

Wien (taz) – Bundeskanzler Viktor Klima hat am Dienstagabend die Konsequenzen aus der Hinwendung des bisherigen Koalitionspartners ÖVP zu Jörg Haider gezogen und die Bildung einer Minderheitsregierung aufgegeben. „Die punktuelle Zusammenarbeit im Parlament wird nicht möglich sein. Die Bedingungen sind nicht erfüllt“, verkündete Klima. Heute will er Bundespräsident Thomas Klestil offiziell informieren. Noch am Abend trafen sich Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Jörg Haider (FPÖ) zu ersten Verhandlungen. Sie wollen schon bis Ende nächster Woche eine vollständige Regierung präsentieren.

In fünf Untergruppen werden die wichtigsten Themenbereiche diskutiert. Gestern ging es um Demokratiefragen, schlanke Verwaltung und Bürgerrechte. Volksabstimmungen und Volksbegehren sollen stärker eingesetzt werden. Dem in fünf Jahrzehnten gewachsenen Parteienfilz will man mit Antiproporzmaßnahmen zu Leibe rücken. Die Macht wird neu verteilt.

Vorwürfe, die beiden Parteien hätten längst hinter dem Rücken der SPÖ paktiert, weil sie sonst jetzt nicht so schnell verhandeln könnten, wiesen ÖVP-Sprecher zurück. Man habe eben die Sondierungsgespräche im Herbst, an denen alle Parteien beteiligt waren, genutzt. ÖVP-Klubchef Andreas Khol rechnet mit 80 Prozent Übereinstimmung. Zehn Prozent könne man verhandeln, weitere zehn – vor allem bei Fragen der EU-Osterweiterung und des Ausländer- und Asylrechts – würden ohne Einigung bleiben.

Nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen den bisherigen Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP macht sich selbst bei den Verlierern so etwas wie Erleichterung breit. In der ersten Parlamentssitzung des neuen Jahres wurde gestern die Wende bereits vorgelebt. FPÖ und ÖVP präsentierten sich als glückliche Familie. Derweil gaben sich die bisherigen Koalitionspartner gegenseitig die Schuld für ihr Scheitern.

Aufwind verspüren die Grünen, die sich als eigentliche Opposition fühlen. Sie fordern zwei Untersuchungsausschüsse: zum Fall des des deutschen Waffenhändlers Karlheinz Schreiber, in dessen Notizen auch der Name Wolfgang Schüssel auftaucht, und zu den Gratisflügen der LBWest, die Ex-Kanzler Franz Vranitzky häufig nutzte. Da sich niemand Klima als Oppositionsführer vorstellen kann, tobt unter der Oberfläche auch bereits die Debatte um dessen Nachfolge als SPÖ-Chef.

Das Ausland, speziell Israel, reagierte beunruhigt auf die sich abzeichnende neue Koalition in Wien. Der frühere israelische Ministerpräsident Schimon Peres warnte vor einer Koalitionsregierung mit dem Rechten Haider. Damit würde sich ein folgenschwerer Irrtum der Geschichte wiederholen, sagte Peres. Selbst Adolf Hitler sei durch „so genannte demokratische Mittel“ an die Macht gekommen. Ralf Leonhard

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