: Im Flüchtlingslager lauert der Kältetod
■ Bislang sind 250.000 Menschen aus Tschetschenien geflohen. Ihre Situation in den Zeltstädten verschlechtert sich dramatisch. Putin will UN-Hilfsaktionen unterstützen. Schily erklärt Abschiebestopp
Moskau/Grosny (AP/AFP/taz) – „Wie Ratten“ leben in dem seit Monaten von russischen Truppen bombardierten Grosny noch 20.000 Zivilisten in den Kellern, berichten westliche Hilfsorganisationen. Tausende schafften allein in den vergangenen Tagen noch die Flucht aus Tschetschenien in die Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Georgien. Dort leben inzwischen rund 250.000 Landsleute. Und dort lauert der nächste Feind: Eis und Schnee mit Temperaturen von bis zu 20 Grad unter null bedrohen das Leben der bereits geschwächten Flüchtlinge.
Angaben von Hilfsorganisationen und Ärzteteams zufolge seien die hygienischen Bedingungen in den völlig überbelegten Zeltstädten mittlerweile katastrophal. Erkrankungen wie Tuberkulose seien an der Tagesordnung, die Gefahr von Epidemien kaum noch abzuwenden. Allein im inguschetischen Flüchtlingslager Sputnik leiden 90 Prozent der 7.000 registrierten Flüchtlinge an Läusen und Krätze.
Die UNO-Flüchtlingsorganisation (UNHCR) sagte gestern mehr Unterstützung für die Flüchtlinge zu. Glaubt man Russlands Interimspräsident Wladimir Putin, steht diesem humanitären Engagement von Moskauer Seite nichts entgegen. Im Gegenteil: Anlässlich eines Gesprächs mit UNO-Generalsekretär Kofi Annan in Moskau lobte Putin gestern die Bemühungen der Hilfsorganisationen und sagte seine Unterstützung zu.
Mehr Zugeständnisse konnte Annan, der nachdrücklich auf die dramatische Situation der Zivilbevölkerung hinwies, Putin allerdings nicht abtrotzen. Annans Forderung nach einem sofortigen Ende der Kämpfe stieß weiter auf taube Ohren.
Unterdessen dauerten die schweren Gefechte um das Zentrum der Hauptstadt Grosny weiter an. Russische Kampfflugzeuge reduzierten wegen des schlechten Wetters zwar ihre Einsätze, setzten aber die Angriffe gegen Stellungen der tschetschenischen Kämpfer besonders in den Gebirgsregionen im Süden der Republik fort. Die russische Nachrichtenagentur Interfax meldete, rund 100 Tschetschenen hätten einen russischen Stützpunkt in Dagestan angegriffen, der knapp hinter der tschetschenischen Grenze liege. In einem langen Gefecht seien die Angreifer zurückgeschlagen worden.
Unterdessen hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gestern „unbefristet und bis auf weiteres“ einen Abschiebe- und Entscheidungsstopp für Asylbewerber aus Tschetschenien verhängt.
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