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Weltsuppe auf Datenhighway

Logobuchstaben und PostOstPop: Die Ausstellung „Wo ist wo?“ im Haus des Lehrers zeigt die Stadt und ihr Leben im Kleinformat

Würde er hier nicht bereits seit Jahren in seinem Glaskasten mit Holztheke sitzen, wäre der Herr der Schlüssel über das Haus des Lehrers der eigentliche konzeptionelle Hype der Ausstellung „Wo ist wo?“. Ihm schaut man in die müden Augen, wenn man den noch mosaikverzierten Plattenbau am Alexanderplatz betritt, dann fällt der Blick automatisch auf die gigantische Holztafel rechts über seinem Wärterhäuschen an der Wand. Dort wird auf einer Informationstafel angezeigt, wo man was in dem Hochhausquader findet. Jede Etage wird mit weißen Setzbuchstaben markiert. Allerdings ist der Komplex etwas unterbelegt, und so wirbt der Mann selbst mit einem handgemalten Schild aus Bleistift und Filzer für sein Brett: „Logobuchstaben sind abzuholen beim Hausmeister“.

Aber der Hausmeister ist nicht Teil der Ausstellung, die sich zwischen die nahezu kathedralartig fetten Säulen im Eingangsfoyer gezwängt hat. Drei Künstlerinnen und drei Künstler haben ihm mit ihren „Sichtweisen auf Modelle urbanen Lebens“ den freien Blick auf die Mitte Berlins versperrt. Stattdessen wurde die Stadt ins Haus geholt. Im Kleinformat.

Andreas Koch zum Beispiel mit einem fragilen und hohlen nachgebauten Plattenbau aus Playmobil-Steckteilen. Fünf Meter lang, drei Meter hoch und einen Meter breit. Mit Westspielzeug hat er an dem, wie er es nennt, „Ostigen“ der gesamten Ausstellung gebastelt. Das Ergebnis ist für ihn „PostOstPop“. Hier, im Zentrum der Stadt, wo demnächst eine weitere Skyline wachsen und womöglich ein altes Schloss wieder auferstehen soll, wollen die an „Wo ist wo?“ beteiligten KünstlerInnen den öffentlichen Raum als solchen in Frage stellen. Öffentlich sei heute nicht mehr das, was Stadtplaner am Reißbrett zusammenpuzzeln, sondern die Inszenierung des Privaten.

Allein das Private sucht man vergeblich, abgesehen vom Hausmeister in seinem Pförtnerraum mit individueller Note. Und ostig sind nur die Künstler und ihre Gäste selbst, die aussehen, als hätten sie gerade noch am Ende der Sonnenallee im Wiegeschritt die Mauer passiert. Lediglich Jobst van Bergs „Vorplatz Mahnmal“, ein Silvester-Chill-out-Szenario mit labbrigen Luftschlangen, Knallerhülsen und leeren Sektflaschen vor gelbem Bauzaun, reflektiert die jüngsten Diskussionen um das geplante Holocaust-Denkmal und Diepgens Verweigerung des ersten Spatenstichs.

Michaela Schweigers Mönchszelle aus Sperrholz legt da nahe, dass auch die Formel „Das Private ist öffentlich“ längst keine Gültigkeit mehr hat. Wie Mönche und Nonnen sich früher ihre Welt aus Pilgererzählungen zusammenreimten und -malten, sitzen Gläubige und Nichtgläubige heutzutage im stillen Kämmerlein vor ihren E-Mail-Schüsseln und kochen ihre Weltsuppe auf Datenautobahnen. Ihre Installation hat die Künstlerin nach James Cowans Roman „Der Traum des Kartenmachers“ benannt, dem der Autor ein Zitat von Ludwig Wittgenstein vorangestellt hat: „Ich bin meine Welt.“ Das würde sicher auch der Pförtner unterschreiben. Petra Welzel

Haus des Lehrers, Alexanderplatz 4, bis zum 6. 2., Di.–Sa. 12 bis18 Uhr

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