: Nashville gehen die Mirakel aus
In den letzten Sekunden der Super Bowl im American Football werden die Tennessee Titans vom bewährten Glück verlassen und verlieren gegen St. Louis mit 16:23 ■ Von Matti Lieske
Am Ende der 34. Super Bowl hatte es sich ausgewundert für die Tennessee Titans. Verzweifelt patschte Kevin Dyson den Ball auf die Linie zur Endzone der St. Louis Rams. Zu kurz, zu spät. Ein paar Inches, ein paar Sekunden fehlten dem Urheber des „Music City Miracle“ vom 8. Januar, als er das Team aus Nashville gegen Buffalo mit einem 75-Yard-Touchdown in letzter Sekunde vor dem Ausscheiden bewahrt hatte, zu jenem Touchdown, der – erfolgreicher Bonus-Kick vorausgesetzt – den Ausgleich zum 23:23 und die Verlängerung gebracht hätte. So aber waren die Rams die Gewinner der Super Bowl 2000.
Ein packendes und passendes Finale für ein Match, dem Fans und Fachwelt schnell das Etikett von der besten Super Bowl aller Zeiten anhängten – eine Wertung, die sich mit zeitlichem Abstand etwas relativieren wird, was die gebrochenen Rekorde und die Dramaturgie betrifft, aber einiges für sich hat. Entschieden wurde das Match durch ein Tackle von Linebacker Mike Jones, das Kevin Dyson gerade noch rechtzeitig zu Fall brachte, geprägt wurde es jedoch durch die beiden Quarterbacks. Bei den St. Louis Rams Kurt Warner, dessen uramerikanische Cinderella-Story vom verkannten Talent, das sich in harter Ochsentour über die NFL Europe nach oben kämpfte, das Land über Wochen verzückte; bei den Titans Steve McNair, erst der zweite schwarze Quarterback in einer Super Bowl, der auch aufgrund seiner Quarterback-unüblichen Hautfarbe immer wieder in der Kritik stand.
Kein Elway, kein Marino, kein Favre also, sondern ein Duell der No-Names, die dennoch eine spektakuläre Show lieferten. Warner, vor der Saison gerade noch als Ersatzmann durchgerutscht und nur wegen Verletzung von 15-Millionen-Dollar-Mann Trent Green ins Team gekommen, brach den Super-Bowl-Rekord des legendären Joe Montana für erworfene Yards. McNair überbot die Bestmarke für erlaufene Yards eines Quarterbacks, ebenfalls von Montana. Mit soliden Spielzügen sorgte der 26-Jährige dafür, dass die Titans nach 0:16-Rückstand in der Schlussphase zum 16:16 ausgleichen konnten und auf dem besten Weg schienen, den schwächelnden Rams den sicher geglaubten Sieg noch wegzuschnappen.
Doch da meldete sich Kurt Warner, in der zweiten Halbzeit bis dahin ohne Fortune, noch einmal resolut zu Wort. Sein riskanter 73-Yards-Pass überrumpelte 104 Sekunden vor Schluss die Titans-Abwehr, und ehe sich die Mannen aus Nashville versahen, war Receiver Isaac Bruce auf und davon. Touchdown – 23:16. „Twins Right, Ace Right, 999 Halfback Balloon“ nennen die Rams diesen Spielzug, was in etwa heißt: Alle Receiver nach vorn und beten.
Trotz des Schocks über den Konter aus heiterem Himmel schaffte es Steve McNair, in der verbleibenden Zeit einen Drive zu inszenieren, der sein Team fünf Sekunden vor Schluss an die gegnerische 10-Yard-Linie brachte. Dann kam das Tackle von Jones, und alles war vorbei. „Als Kind träumt man davon, Touchdowns zu erzielen, und nicht, welche zu verhindern“, sagte der Matchwinner, „aber es war ohne Zweifel die größte Aktion meiner Karriere.“
Steve McNair dagegen musste erst mal seine Hoffnung begraben, als zweiter Quarterback nach Washingtons Doug Williams 1988 die Super Bowl zu gewinnen. „Man verliert lieber mit 50 Punkten als wegen ein paar Inches“, sagte er enttäuscht, war aber wie seine Kollegen überzeugt, dass Atlanta nicht der letzte große Auftritt der Titans war. „Wir brauchen nur an den Siegesjubel der Rams denken, das treibt uns an“, sagt Tight End Frank Wycheck.
Natürlich musste McNair auch den Titel des besten Spielers (MVP) an den Sieger Kurt Warner abtreten. „Er ist ein Buch, er ist ein Film“, schwärmte Rams-Coach Dick Vermeil von seinem Quarterback, doch der 28-Jährige blieb so bescheiden, wie es seine Landsleute lieben: „Es ist keine Hollywoodstory, es ist nur mein Leben.“
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