: Pisa nützt Medien und Politik, nicht der Schule
Susanne Thurn: Die Vergleichsstudie stärkt das Sortieren und Aussortieren in der Schule
Selbstverständlich: „Pisa“ oder andere vergleichende Tests, die – sagen wir einmal – sämtliche 15-Jährigen eines Landes, eines Staates, von Europa, ja der Welt miteinander vergleichen, nützen der Wissenschaft, nützen der Politik, nützen den Medien und dem Beziehungsgeflecht, das zwischen diesen dreien besteht.
Sie nützen der Politik, bieten sie doch das Wahlkampfthema Nummer eins. Der Kulturkampf zwischen den Ländern hat längst begonnen. Jener Kultusminister oder jene Schulministerin, die im Ländervergleich gut abschneidet, wird auch die nächste Wahl gewinnen, weil Schule Spielball der Politik bleibt. Wer aus dem Wahlvolk weiß nicht über Schule bestens Bescheid, die durchlitten oder auch für gut gehalten wurde, jedenfalls möglichst so bleiben sollte, wie sie immer war? Schließlich ist aus uns allen was geworden.
Und es nützt den Medien! Mit Titeln wie „Verblöden die Deutschen“ oder „Malte nicht Mozart den ‚Faust‘?“ (Stern) lassen sich mühelos und garantiert Auflagenhöhen und Einschaltquoten steigern. Wie „Timms“ so wird auch Pisa zum Spielball der Medien werden. Und Pisa & Co nützen natürlich auch der Wissenschaft selbst. Um den angeblichen „Bildungsnotstand“ und seine Ursachen festzustellen, lassen sich reichlich Forschungsgelder locker machen. Da mag Jürgen Baumert vom Max-Planck-Institut noch so sehr bedauern, dass seine Timms-Ergebnisse falsch interpretiert worden sind: Einmal in durchschaubarer Absicht verkürzt publiziert werden sie zur öffentlichen Meinung. Und: Er und sein Institut sind in aller Munde – dafür kann man doch nicht ihn verantwortlich machen! Aber nützt Pisa irgendjemandem sonst? Den Kindern und Jugendlichen, den Lehrerinnen und Lehrern? Oder der Schulentwicklung in den Bundesländern?
Pisa bringt mehr Blut, Schweiß und Tränen
Ich fürchte, das Gegenteil wird der Fall sein. Schon beginnen die Nachfragen: Hat der Süden so selbstständig denkende und methodensicher lernende Jugendliche wie der Norden? Wissen die aus dem Norden auch nur annähernd so viel wie die aus dem Süden? Da Vergleichsstudien leichter das abfragbare Fachwissen als das selbstständige Denken messen können, ahnen wir ohnehin, dass der Süden gewinnt. Für die Schule der Zukunft wird das nicht ohne Folgen bleiben: Moderne Errungenschaften des Nordens werden eingeebnet werden. Die Wahlvielfalt, das selbstständige Lernen oder ein Unterricht, der sich an Problemen statt nur an Fächern orientiert; auch das individuelle Fördern und Fordern in sozialer Verantwortung wird zurückgeschraubt werden zu Gunsten von reinem Fachunterricht im 45-Minuten-Takt. Im Süden wird die zaghafte Neuorientierung in Richtung von mehr didaktischer Vielfalt, pädagogischer Hinsicht und bildungspolitischer Nachdenklichkeit mit ein paar Federstrichen wieder weggewischt werden müssen. Die Lehrer werden wieder wichtiger, die alles bereits vor-wissen, es dann vor-tragen und vor-machen, um es schließlich nach-bilden zu lassen. Lehrer, die neue Wege gehen, werden die verunsicherten sein und sich zurückziehen. Nützen Pisa & Co also?
Im Gegenteil: Im Beziehungsgeflecht von Wissenschaft, Politik und Medien wird die Schule instrumentalisiert zu fremden, zu Vergleichszwecken. Und die heißen: Endlich wieder Blut, Schweiß und Tränen – mehr Druck, mehr Kontrolle, mehr und frühere Auslese. Dafür kein „Spiel und Spaß“ in der Schule! Soziale Probleme und Lebensnöte von Kindern und Jugendlichen haben in jener Schule keinen Ort, die eine Medaille im Vergleich gewinnen will.
Wäre nicht ein Mehr an Zeit für kreatives Denken, fantasievolles Problemlösen, kommunikatives Teamarbeiten und den Einzelnen stärkendes Herausfordern der vernünftigere Weg zu besseren Ergebnissen, auch und gerade für den ach so wichtigen Wirtschaftsstandort Deutschland? Wir aber sind dabei, den Weg von noch mehr Messen und Wiegen, Sortieren und Aussortieren zu gehen.
Keine Frage, Politik, Medien und Wissenschaftsbetrieb werden dafür sorgen, dass Pisa kommt und in der Folge immer weitere Evaluationsprojekte und so genannte Qualitätskontrollen, schließlich auch das Ranking von Schulen in der Tagespresse. Wie die Ergebnisse ausfallen, wissen wir alle doch längst: Gewinnen wird das Kind aus begütertem Elternhaus in der richtigen Wohngegend mit möglichst vielen Büchern zu Hause – und die Schule, die vor allem Kinder wie diese unterrichtet. Ob auf solche Ergebnisse alle Länder so klug wie Hamburg reagieren werden, nun die deswegen schlechter abschneidenden Schulen stärker zu fördern?
Susanne Thurn leitet die Bielefelder Laborschule. Sie antwortet auf Sybille Volkholz, die am 18. Januar für eine Teilnahme an der Vergleichsstudie Pisa plädierte.
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