Irre gut und knackig

■ Im Kulturbahnhof Vegesack zeigt das Blaumeier-Atelier und die Werkstatt der JVA Oslebshausen neue Arbeiten

Vier Figuren sind auf einem mit Sägespänen ausgelegten Grund kreisförmig ausgerichtet. Sie blicken auf das Objekt in ihrer Mitte: dort kniet der Mensch, der Mensch als Zentrum, um das sich die Elemente scharen – so erläutert Orlando aus Kuba sein Werk „Glaube, Hoffnung, göttliche Liebe“, das ab morgen im Kulturbahnhof Vegesack zu sehen ist. In Kuba studierte Orlando Kunstgeschichte, war dann als Museumsführer des Huron Azul-Museums in Havanna tätig. Seit 1989 lebt er in Bremen, seit drei Jahren ist er in der Justiz-Vollzugsanstalt (JVA) Oslebshausen inhaftiert, wo er sein Figurenensemble entworfen hat.

Die JVA-Häftlinge haben seit über 20 Jahren die Möglichkeit, im Knast künstlerisch tätig zu werden. Einige Werke aus der Bildhauerwerkstatt „Mauern Öffnen“ fanden ihren Platz als Teil des Projektes „Kunst im öffentlichen Raum“ an diversen Plätzen in der Stadt. Mit der Ausstellung „Irre gut und knackig“ im Vegesacker Kulturbahnhof stellt die Werkstatt nun gemeinsam mit dem Blaumeier-Atelier Plastiken und Skulpturen der Inhaftierten vor. Unter dem Titel „Kunst und Psychiatrie“ bietet das Blaumeier-Atelier seit 1986 für „normale Irre und irre Normale“ ein künstlerisches Wochenprogramm in den Bereichen Theater, Malerei, Musik, Tanz und Maskenbau an. Die im Bahnhof ausgestellten Arbeiten entstanden auf einer „Malreise“ im Sommer 1999 nach Lütjenweststedt in Schleswig-Holstein.

Während einer Malreise entstandene Bilder neben Skulpturen aus der Kunstwerkstatt eines Gefängnisses: Die Gegensätze sind nicht zu übersehen, auch wenn die Thematik der Gefangenschaft bei der Auswahl der Werke laut Werkstattleiter Holger Voigts ausdrücklich ausgeklammert wurde; die einzige Vorgabe einer Themenorientierung. Mit Blick auf Orlandos Werk stellt sich allerdings die Frage, inwieweit das möglich ist. Geradezu aufdringlich symbolisiert Orlandos gipsweiße Figur die Sehnsucht des gefangenen Menschen nach Reinheit, nach jener ursprünglichen Unschuld des Urzustands, die allenfalls bedroht wird durch jene Naturgewalten wie Feuer oder Wasser, von denen der Mensch sich zugleich unentrinnbar eingebunden weiß. Ein wenig naiv mutet die Darstellung an, zu offensichtlich wird die Intention des Künstlers angesichts der Tatsache, dass man über dessen Haftaufenthalt informiert ist. Aber die ungezwungene Ehrlichkeit, die aus dem Werk spricht, beeindruckt.

Colette Bobertz hingegen thematisiert in ihren Bildern die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Die Künstlerin des Blaumeier-Ateliers träumte schon lange von einer Reise nach New York. Hochhäuser in allen Größen und immer wieder die Freiheitsstatue in den buntesten Farben bevölkern seither ihre Bilder. Vor zwei Jahren ging ihr Traum in Erfüllung: Aus dem Verkauf ihrer Arbeiten konnte das Atelier die Reise finanzieren, die sogar verfilmt und im Fernsehen gesendet wurde. Im Kulturbahnhof sind nun vor allem die Folgen ihrer Reiseeindrücke zu sehen: Die mit Wachskreide gezeichnete, immer lächelnde Freiheitsstatue strahlt nun im knalligen Grün – Indiz dafür, dass das New Yorker Original Grünspan angesetzt hat.

Wilfried Lüllmann ist der Akribiker unter den Blaumännern. Bereits seit zwei Jahren arbeitet er im Atelier an einem einzigen Bild. Die beiden ausgestellten Gemälde aber stellen Versuche dar, mal aus dieser Filigranarbeit auszubrechen: Lüllmann legte zunächst ein grobes Farbraster an, das ihm zu einer Abkehr von seiner bisherigen Feinarbeit zwingen sollte. Jeweils mindestens ein ganzes Carrée ist vollständig mit einer Farbe gefüllt. Manche Felder jedoch sind weiß geblieben; das Bild ist noch nicht vollendet – auch eine großflächige Maltechnik beansprucht Zeit.

Das Kontrastierende ist aber zugleich das Erfrischende dieser Ausstellung, da es gänzlich ungezwungen und natürlich erscheint. Kein Künstler richtet sein Werk an den Arbeiten oder Meinungen der anderen aus. Drachen, Kobolden und anderen Fantasiegestalten der Strafgefangenen stehen überwiegend naturalistische Objektbearbeitungen der MalerInnen gegenüber. Ob Freiheitsstatue oder aus-tralische Wüste, ob Insekten oder Bäume – selbst eine Serie von Linolschnitten über Ché Guevara bildet einen realen Kontrast zu den fantastischen Skulpturen der KollegInnen. Diese weitgehende Übereinstimmung der Blaumeier-KünstlerInnen verwischt die Grenzen zwischen „psychiatrieerfahrenen“ und „normalen“ KünstlerInnen. Johannes Bruggaier

Eröffnung am 4. Februar um 19 Uhr im Kulturbahnhof Vegesack. Zu sehen bis zum 27. Februar. Weitere Infos unter 65 00 60