: Grosny ist erst zur Hälfte in russischer Hand
Russen kontrollieren nach eigenen Angaben 50 Prozent der tschetschenischen Hauptstadt. Rebellenchef Bassajew dementiert schwere Verletzungen. „Times“-Korrespondent in Grosny verhaftet. Süden Tschetscheniens unter Feuer
Moskau/Grosny (dpa/rtr) –Nach der überraschenden Wende in der wochenlangen Schlacht um Grosny rechnet das russische Militär mit der vollständigen Kontrolle über die tschetschenische Hauptstadt „in den nächsten Tagen“. Bis gestern hatten die russischen Einheiten nach eigenen Angaben über die Hälfte der Stadt erobert und dabei die strategischen Einrichtungen eingenommen. Die Verteidiger hatten am Vortag ihren erbitterten Widerstand weitgehend aufgegeben und sich abgesetzt.
Beim weiteren Vorrücken in Grosny standen den russischen Sturmverbänden überwiegend versprengte Kämpfergruppen gegenüber. Im Verlauf dieser Rückzugsgefechte seien rund 40 Tschetschenen getötet worden und 110 in Gefangenschaft geraten, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf Militärquellen. „Unsere Truppen treffen praktisch kaum noch auf organisierte Abwehr“, zitierte die Agentur einen Sprecher des russischen Stabes. Das weitere Vorrücken der russischen Einheiten in der Stadt gestaltete sich jedoch als „äußerst schwierig“, da die Kämpfer in den meisten Gebäuden Sprengfallen gelegt hätten.
Der Kommandeur der so genannten Westfront der russischen Einheiten in Tschetschenien, General Wladimir Schamanow, sah in der Entwicklung um Grosny einen „sinkenden Kampfgeist“ der Rebellen. „Viele von ihnen wollen nicht mehr kämpfen, während gleichzeitig ihre Anführer an Autorität verlieren“, zitierte ihn Interfax.
Dennoch wollte er weitere Ausbruchversuche der noch in Grosny verbliebenen Kämpfer „nicht vollständig ausschließen“.
Für Verwirrung sorgten unterdessen widersprüchliche Berichte über den führenden Tschetschenen-Kommandeur Schamil Bassajew. Nachdem am Vortag tschetschenische Quellen angeblich eine schwere Verwundung Bassajews bestätigt hatten, dementierte Bassajew gestern diese Berichte auf der Website der Kämpfer im Internet. „Ich lebe und bin gesund, ich wurde nur durch einen Splitter am Bein verwundet“, wurde er zitiert. „Ich habe noch genug Kraft, um die Aggressoren zu vernichten.“
Ein Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow bestätigte gestern den Tod von drei wichtigen Feldkommandeuren, unter ihnen Grosnys Kommandant Aslanbek Ismailow. Russlands Vizegeneralstabschef Waleri Manilow wollte diese Angaben zunächst nicht bestätigen.
Die russische Luftwaffe setzte auch gestern ihre Angriffe auf Ziele in Tschetschenien fort. Die Nachrichtenagentur Interfax meldete, in den vergangenen 24 Stunden seien mehr als 150 Angriffe geflogen worden. Sie hätten sich hauptsächlich gegen Rebellenstellungen in den Bergen im Süden gerichtet.
Ein Korrespondent der Londoner Zeitung The Times ist gestern von russischen Truppen im Zentrum von Grosny festgenommen worden. Der Mann habe nicht die notwendige Akkreditierung des russischen Militärs für die Kampfzone gehabt, berichtete die Agentur Interfax. Giles Whittell sei auf dem Minutka-Platz vom Kommandeur der russischen Kaukasustruppen, General Viktor Kasanzew, festgenommen worden. Inzwischen seien offizielle Untersuchungen eingeleitet worden.
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