Pläne nicht zukunftsweisend

■ Wie sieht die Zukunft der Berliner Hochschulen aus? Offenbar nicht so, wie es sich die Universitäten selbst vorstellen. An ihren wenig abgestimmten Zukunftsplänen übt der Wissenschaftsrat harsche Kritik – in einem Gutachten, das im Mai offiziell vorgestellt wird. Die taz dokumentiert schon jetzt Auszüge aus einem internen Entwurf und stellt die Vorschläge der Experten zur Diskussion – Fach für Fach, Hochschule für Hochschule

Die drei Berliner Universitäten waren voll des Selbstlobes. Als sie nach langen Spardebatten vor zwei Jahren zu Papier brachten, wie sie sich ihre eigene Zukunft angesichts knapper Kassen vorstellten, wähnten sie sich endlich in ruhigen Gewässern. Jetzt dürften die Zeiten wieder stürmisch werden. Aus dem vorhandenen Geld könnten die Hochschulen mehr machen, glauben die Experten des Bund-Länder-Gremiums für die Hochschulplanung. Die Voraussetzung wäre allerdings, dass die Universitäten weit enger zusammenarbeiten als bisher.

Geschichtswissenschaften

„Der Wissenschaftsrat hält die in der Freien Universität und der Humboldt-Universität vorgenommenen Schwerpunktbildungen in der Forschung für sinnvoll und angemessen. Er vermisst jedoch aus den je spezifischen Profilen erwachsende gemeinsame und hochschulübergreifende Aktivitäten. [...]

Der Wissenschaftsrat empfiehlt, die Lehrerausbildung in den Geschichtswissenschaften an der TU einzustellen; stattdessen sollen thematisch einschlägige, neu zu konzipierende Magister-Studiengänge eingerichtet werden, und zwar ausschließlich in Verbindung mit Angeboten, die für eine Technische Universität spezifisch sind. [...] Die gegenwärtig bestehenden Professuren mit anderen als technik- und wissenschaftsgeschichtlichen Arbeitsschwerpunkten müssen daher bei Ausscheiden der Stelleninhaber entweder an der Technischen Universität intern umgewidmet oder aber als weiterhin bestehende Arbeitsschwerpunkte an die Freie Universität oder die Humboldt-Universität verlagert werden.“

Kleine Fächer

„Empfehlungen (nur stichwortartig, da diskussionsbedürftig):

Konzentration der Süd- und Südostasienwissenschaften an der HU unter Transfer der FU-Indologie.

Beibehaltung der Nah- und Mittelostwissenschaften an der FU (kein Transfer von der HU, da dort keine entsprechenden Ressourcen vorhanden sind; die Israelwissenschaften sollten an der HU verbleiben).

Einbringung der Ost- und Zentralasienwissenschaften in ein gemeinsam von FU und HU getragenes Institut.

Altertumswissenschaften bleiben ein Schwerpunkt an der FU, die Ägyptologie/Sudanarchäologie wird nach dort transferiert. – In Hinsicht auf die curricularen Servicefunktionen verbleibt die als Mittelalterarchäologie definierte Professur für Ur- und Frühgeschichte der HU im Kontext der Geschichtswissenschaften, ebenso die Professur für Vergleichende Sprachwissenschaft (Indogermanistik) im Verbund mit der Deutschen Sprachwissenschaft. Beide Fächer sollten für Forschungszwecke die Ressourcen der hervorragend ausgestatteten FU-Institute mitnutzen und nicht den Aufbau vollständiger Parallelbibliotheken anstreben.

Die Klassischen Philologien sollten als Lehramtsfächer und wegen ihrer Servicefunktionen für die anderen Philologien mit Lehramtsstudiengängen an beiden Universitäten im bisherigen Umfang erhalten bleiben.“

Regionalinstitute

„Als generelles Prinzip der Organisation geisteswissenschaftlicher Forschung wie Lehre ist eine regionalwissenschaftliche Ausrichtung problematisch. Die Bedenken gegenüber einem solchen Konzept entstehen aus einer unvermeidlichen Entfernung von fachsystematischen Kriterien. [...]

Da die Slawistik der FU seit 1990 im Hinblick auf die Existenz einer großen Slawistik an der HU erheblich reduziert worden ist [...], ist die exklusive Unterbringung des Osteuropa-Instituts an der FU problematisch. [...] Sehr viel weniger von allen Veränderungen seit 1989 tangiert ist das John-F.-Kennedy-Institut. [...] Hier scheint sich das Konzept eines Regionalwissenschaftlichen Instituts in besonderer Weise bewährt zu haben. Sehr viel mehr Skepsis ruft demgegenüber das Großbritannien-Zentrum der HU hervor. [...] Ob dieser Ausbau deshalb in den einst vorgesehenen Dimensionen sinnvoll ist, wäre im Einzelnen zu überprüfen.“

Frankreich-Zentrum: Die Veränderung der Konzeption „kommt zumal an der Ausgrenzung der Romanistik aus dem Fächerverbund des Zentrums zum Vorschein. [...] Diese Kombination doch sehr heterogener Vorgaben lässt kaum die Herausbildung einer konzeptuell geschlossenen Einrichtung erwarten. [...] So steht es durchaus in Frage, ob der Ausbau des Frankreich-Zentrums an der TU in der vorliegenden Konzeption sinnvoll erscheint.“

Philologien

„Die philologischen Fächer Germanistik, Anglistik und Romanistik sollen weiterhin an der Freien Universität und an der Humboldt-Universität vorgehalten werden. [...] Die Vorstellung einer primär ‚innerberlinischen‘ Konkurrenz zwischen den Hochschulen der Stadt erscheint nicht als eine geeignete Perspektive [...]. Geboten erscheint die Zusammenarbeit vor allem auf dem Gebiet der Lehre, d. h. die Notwendigkeit der Organisation gemeinsamer Studiengänge wie der grundsätzlichen Anerkennung von Studiennachweisen. [...]

Für die Romanistik in Berlin (und Potsdam) besteht die ganz einmalige Möglichkeit, das Fach in seiner vollen Breite, d. h. unter Einschluss auch aller kleinen Sprachen, zu betreiben. Dazu sind bindende Absprachen über Ausschreibungen zwischen den einzelnen Instituten erforderlich. Die vorhandenen Kapazitäten gestatten es, die Kernbereiche auch dann noch in genügender Weise wahrzunehmen, wenn man [...] auch die kleinen Sprachen anbietet. [...]

Mit der Einstellung der Lehramtsstudiengänge könnte für die Germanistik an der TU ein Freiraum in der Gestaltung ihrer literaturpolitischen und kulturellen Aufgaben gewonnen werden. [...] Die Universität/Fakultät sollte aufgefordert werden, ein Organisationsmodell für ein solches Literaturzentrum auszuarbeiten, in das auch die Freie Universität und die Humboldt-Universität eingebunden werden sollten.“

Psychologie

„Die Institute (der drei Universitäten) müssen sich einerseits sinnvoll voneinander abgrenzen, andererseits zur Optimierung der Forschungsleistungen und der Studienangebote zusammenarbeiten. [...] Angesichts der Tatsache, dass die oben erhobenen Forderungen nicht neu sind, sondern in ähnlicher Weise bereits 1992 von der Landeshochschulstrukturkommission Berlin aufgestellt wurden, ist es offenkundig, dass die Berliner Insitute nicht aus eigener Kraft zu einer Verbesserung der Situation in der Lage sein werden. Der Wissenschaftsrat hält externe Steuerungsinstrumente für notwendig [...]. Angesichts der in wenigen Jahren zu erwartenden Emeritierungs- bzw. Pensionierungswelle sollte umgehend die Gelegenheit genommen werden, untereinander abgestimmte und zukunftsweisende Gesamtkonzepte zu entwickeln.“

Rechtswissenschaften

Freie Universität: „In den Angaben ist keine konsistente Struktur- und Entwicklungsplanung zu erkennen. [...] Vor allem aber fallen Widersprüche auf. [...] Im Übrigen ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass der Begriff „Einzelkämpfer“ die Situation am besten kennzeichnet. [...] Der Wissenschaftsrat erkennt in der Auflistung kein nach bestimmten Gesichtspunkten strukturiertes Ausbildungssystem. [...] Es drängt sich die Vermutung auf, dass ein den heutigen Bedürfnissen angemessenes Ausbildungskonzept nicht vorhanden ist. [...] Die seit Jahren an der FU unverändert fortbestehenden Defizite bei der universitären Examensvorbereitung erstaunen umso mehr, als bereits 1992 erklärt worden war, vor allem die Ausbildung im examensnahen Bereich müsse intensiviert werden.“

Humboldt-Universität: „Die Juristische Fakultät der HU bietet neben den üblichen Lehrveranstaltungen als Besonderheiten ein Mentorenprogramm für Studierende der ersten beiden Semester an, hält zu sämtlichen Pflichtfachvorlesungen in den ersten fünf Semestern ergänzend Arbeitsgemeinschaften vor und hat ein zweisemestriges Repetitorium entwickelt [...]. In ihrem Lehrkonzept hat die Juristische Fakultät der HU damit Standards entwickelt, die denjenigen anderer reformwilliger Fakultäten entsprechen. Speziell bei der vertieften Examensvorbereitung liegen – wie die Anhörung ergeben hat – vorhandene Probleme nicht im Konzeptionellen, sondern in der inhaltlichen Durchführung. Der dazu gegebene Hinweis, die ‚Freiheit der Lehre‘ sei das Problem, überzeugt nicht.“

Technische Universität: „Der Wissenschaftsrat empfiehlt, die beiden an der TU nicht mehr benötigten wirtschaftsrechtlichen Professuren dem Fachbereich Rechtswissenschaft der FU zuzuweisen.“

Sozial- undPolitikwissenschaften

„An der Freien Universität wurden Soziologie und Politikwissenschaft umgestaltet und erheblich reduziert. In der Soziologie ist inzwischen die Untergrenze erreicht. Im Unterschied dazu ist die Politikwissenschaft (Otto-Suhr-Institut) mit 18 Professuren nach wie vor sehr gut ausgestattet. Dies fördert die Selbstzentriertheit und bietet keine Anreize für fachübergreifende Kooperation. [...] Der Wissenschaftsrat empfiehlt dem Otto-Suhr-Institut, neue Schwerpunkte unter Beteiligung weiterer Einrichtungen zu bilden. [...] An der Humboldt-Universität wurde mit der Verbindung von Soziologie und Politikwissenschaft zur Sozialwissenschaft ein vielversprechender Weg beschritten.“

Wirtschaftswissenschaften

„Trotz einer nachhaltigen Klage über einen vollzogenen Stellenabbau (an den Universitäten von insgesamt 92 auf 66 Professuren) fehlen bei den Berliner Hochschulen begründete Vorstellungen angesichts eines Bedarfs an Professuren in den Wirtschaftswissenschaften und einer Gewichtung von universitärer und Fachhochschul-Ausbildung. [...] Es sollten Teile der universitären Betriebswirtschaftslehre abgebaut und an die Fachhochschulen verlagert werden.“