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Ein Mann, eine Mission ■ Der Innensenator als Agent provocateur
Innensenator Eckart Werthebach (CDU) offenbart erneut ein eigenartiges Amtsverständnis: Der Verfassungssenator als oberster Agent provocateur. Mit einer Einschränkung von Demonstrationen in der Innenstadt will der Senator einen Prozess vor dem Verwaltungsgericht provozieren, der das Bundesverfassungsgericht zu einer Überprüfung des „Brokdorf-Urteils“ zwingen würde.
In diesem Grundsatzurteil aus den frühen 80er-Jahren haben die Obersten Richter entschieden, dass Demonstranten über Ort und Zeit ihres Protestes frei verfügen können. Werthebach passt das nicht in den Kram. Doch es ist fraglich, ob das Oberste Verfassungsorgan seiner Ansicht folgt, dass eine Demonstration vor einem Atomkraftwerk auf der grünen Wiese grundsätzlich anders zu behandeln ist, als ein Protestzug in einer Großstadt. Werthebach bewertet das Grundrecht der Anwohner und Autofahrer am Brandenburger Tor höher als das Demonstrationsrecht. Doch ein Grundrecht auf freie Fahrt sieht das Grundgesetz nicht vor.
Auch Werthebachs Vorstoß, extremistische Demonstrationen zu verbieten, wenn Hinweise auf Straftaten vorliegen, ist nicht mehr als eine Nebelkerze. Dies kann er bereits nach geltender Rechtslage tun. Doch muss er dem Gericht schon sehr handfeste Erkenntnisse vorlegen, beispielsweise eine geplante gewalttätige Attacke auf Gegendemonstranten. Im Fall der rechten Demonstration gegen das Holocaust-Mahnmal reichten auch umfangreiche polizeiliche Erkenntnisse nicht aus. Zu Recht legen die Gerichte einen strengen Maßstab an, bevor sie in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eingreifen.
Innensenator Werthebach ist da weitaus weniger zimperlich. Er scheut auch nicht davor zurück, die Neonazi-Demonstration für seine Mission zu instrumentalisieren, das Demonstrationsrecht in der Hauptstadt einzuschränken.
Schon sekundiert Parlamentspräsident Reinhard Führer (CDU), der rechte Aufmarsch habe „dem Ruf unseres Landes unermesslichen Schaden zugefügt“. Eine Einschränkung des Demonstrationsrechts ist jedoch auch ein schlechtes Aushängeschild für eine Demokratie.
Dorothee Winden
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