: Berlin soll nicht Brokdorf sein
■ Innensenator will Demorecht einschränken: Im Zentrum soll nur noch für „wichtige Anliegen“ demonstriert werden. Werthebach strebt eine Überprüfung des Brokdorf-Urteils durch das Bundesverfassungsgericht an
Innensenator Eckart Werthebach (CDU) will das Demonstrationsrecht in Berlin nun tatsächlich einschränken. Er wird die Polizei anweisen, Demonstrationen am Brandenburger Tor nur noch selektiv zuzulassen. Die Erlaubnis für eine Demo soll davon abhängen, wie gewichtig das Anliegen sei, sagte Werthebach gestern. „Wenn es um mehr Menschenrechte für Timor geht, muss nicht das gesamte Brandenburger Tor abgesperrt werden.“ Eine Anti-AKW-Demonstration habe hingegen einen anderen Stellenwert.
Werthebach will die Polizei außerdem anweisen, extremistische Demonstrationen zu verbieten, wenn konkrete Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen. Der Artikel 8 des Grundgesetzes, der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit garantiere, gelte „nicht schrankenlos“, sagte Werthebach. Der Staat müsse nicht Demonstrationen hinnehmen, die den Staat verunglimpften. „Strafbare Handlungen genießen nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit.“
Der Innensenator begründete sein Vorhaben damit, dass das Grundrecht auf Demonstration gegen das Grundrecht der Anwohner und Verkehrsteilnehmer abzuwägen sei. Die Anwohner hätten ein Recht auf ungehinderten Zutritt zu ihrem Anwesen. Mit seinem Vorstoß legt es Werthebach erklärtermaßen darauf an, eine andere Rechtssprechung herbeizuführen. „Das Bundesverfassungsgericht müsste die Gelegenheit erhalten, das Brokdorf-Urteil auf die Lage in Großstädten zu übertragen“, sagte er gestern. Nach dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sind die Wünsche der Demo-Veranstalter nach Ort und Zeit des Protestzuges möglichst zu erfüllen. Der Innensenator selbst kann nicht klagen. Nur ein Demonstrations-Anmelder kann gegen ein Verbot oder eine Einschränkung einer Demo gerichtlich vorgehen. Die Richter könnten das Verfahren dann dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
Von seinem Vorschlag, die Bannmeile um den Bundestag so auszuweiten, dass sie auch das Brandenburger Tor und das geplante Holocaust-Mahnmal einschließt, rückte Werthebach gestern ab. „Eine Bannmeile dient dazu, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments aufrechtzuerhalten.“ Offenbar sieht Werthebach ein, dass eine Bannmeile kein geeignetes Instrument ist, Demonstrationen einzuschränken. „Mir wäre mehr geholfen, wenn wir durch Auflagen den Ort und die Zeit einer Demonstration beeinflussen können.“ Genau dies ist nach dem „Brokdorf-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich.
Dorothee Winden
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