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Zwillingsbruderliebe mit barockem Swing

■ Nur formal überzeugend: Benjamin Sahler inszeniert Rameaus „Castor et Pollux“ im Forum der Musikhochschule

Lichtblitze zucken, und die Nebelmaschine läuft auf Hochtouren, während weißwattige Wolken über den Gazevorhang huschen: Wahrlich nicht geschont hat Nachwuchsregisseur Benjamin Sahler für seine Diplominszenierung von Jean-Philippe Rameaus Castor et Pollux die Bühnenmaschinierie im Forum der Musikhochschule. Die dritte Oper des französischen Komponisten entstammt dem Barock, einer Epoche also, die aufwendige Theatereffekte liebte. Doch gehört mehr als formales Durchbuchstabieren dazu, um dieses Werk überzeugend wiederzubeleben. Dieses Mehr ließe sich als wirklich persönliche Lesart des Regisseurs bezeichnen. Sahler bekennt hier wenig Farbe und scheint sich ganz auf die formalen Probleme konzentriert zu haben. Diese löst er allerdings beachtlich, ohne sich in der komplexen Dramaturgie zu verheddern: Die zahlreichen Personen treten sich nicht auf die Füße, die Auf- und Abgänge gelingen, die diversen Wechsel von Ort und Ebene vermitteln sich.

Der Regie-Diplomand zog die ursprüngliche Fassung der Rameau-schen Tragédie lyrique von 1737 der etwas komprimierteren zweiten Version von 1754 vor. So beginnt die knapp vierstündige Aufführung mit einem Prolog, der in Form einer Allegorie die Wiederkehr des Friedens beschwört. Und auch den Hauptfiguren mangelt es an nichts mehr als an Seelenfrieden. Die Zwillingsbrüder Castor (Andreas Post) und Pollux (Ralf Grobe) lieben die gleiche Frau: Télaire (Melanie Wandel). Die ist allerdings nur Castor zugeneigt, den wiederum auch ihre Schwester Phébé (Tanya Aspelmeier) begehrt. Während sich die Titelhelden vor lauter Bruderliebe und Wille zum Verzicht nahezu selbst zerfleischen, leidet Télaire zumeist, und Phébé spinnt Intrigen. An den vielfältigen Affekten in diesem Spannungsfeld von Liebe, Hass und Ehre weidet sich Rameaus Musik, bevor zum Schluss Jupiter wieder alles ins Lot bringt.

Ihre stärksten Momente hat die Inszenierung in den ruhigen Szenen. Hier weiß Sahler, eine intensive Atmosphäre zu schaffen, die bannt. Dass die Aufführung insgesamt jedoch nicht nur den müden Charme gepflegter Unterhaltung versprüht, ist dem jungen Ensemble zu verdanken, das mit Engagement singt und agiert. Besonders überzeugt Ralf Grobe als Pollux. Das Hamburger Barockensemble bemüht sich unter der Leitung von Robert Nassmacher um transparente Präzision und spürbar um so etwas wie barocken Swing, was hingegen nicht immer gelingt. Trotzdem lässt diese Hochschulproduktion ahnen, welch Potenzial in Rameaus Bühnenwerk steckt.

Dagmar Penzlin

noch 7., 9., 10., 12. Februar, 19.30 Uhr, 13. Februar, 16 Uhr, Forum der Hochschule für Musik und Theater, Harvestehuder Weg 12

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